Ba Wang Bie Ji (1993)
Während Bertolucci, Godard, Antonioni oder Ivens zwischen Mitte der 60er und Mitte der 70er Jahre - während der Zeit der Kulturrevolution - noch viele Hoffnungen auf den Maoismus setzten, stellte sich die Lage in China weniger hoffnungsvoll dar: Der Umgang mit den sogenannten Rechtsabweichlern in den späten 50er Jahren, das Scheitern des dà yuè jìn, des Großen Sprungs nach vorn, die Hungersnot, die Menschenrechtsverletzungen und die geschätzten 400000 Toten der Kulturrevolution ließen durchaus kritische, kein bisschen autoritätshörige Geister entstehen, welche dem Maoismus wahrlich nichts abgewinnen mochten. Chen Kaige ist einer dieser Geister: Er, der mit 14 Jahren nach Anerkennung heischend den eigenen Vater vor den Rotgardisten verrät und wenig später als Sohn eines Abtrünnigen massive Demütigungen erleiden muss, wird die Unmenschlichkeit der Kulturrevolution als Erwachsener immer wieder thematisieren. Chen Kaige ist aber zugleich auch eines jener Mitglieder der Filmhochschule Peking, die von 1978 bis 1982 erstmals seit Langem wieder einen regulären Abschluss machen konnten - und bildete bald darauf mit vielen seiner Kommilitionen die sogenannte Fünfte Generation, die ab Anfang/Mitte der 80er Jahre das chinesische Kino revolutionierte. Mit Yimou Zhang als Kameramann dreht Kaige 1984 "Huang tu di" (Gelbe Erde), der auf dem Hong Kong International Film Festival große Beachtung findet und schnell zum ersten wichtigen Markstein des Kinos der Fünften Generation avanciert. Die mitunter symbolische, latente Kritik trifft bei Chen Kaige und seinen Weggefährten nicht bloß die Kulturrevolution und den Maoismus, sondern auch die traditionsreiche chinesische Kultur selbst sowie die ganz aktuellen Ungerechtigkeiten nach der Kulturrevolution - vom Pekinger Frühling bis zum Tian’anmen-Massaker... und das in einer filmästhetisch kraftvollen Form voller frischer Impulse.
Besonders deutlich wird Chen Kaige mit seinem international gefeierten & ausgezeichneten "Ba Wang Bie Ji" (Lebewohl, meine Konkubine), welcher schon im Januar 1993 in Honkkong zu sehen gewesen sein soll und im Mai 1993 auf dem Festival de Cannes die Palme d'or abräumte: So deutlich, dass man den Film in China mit einem Verbot belegte, welches angesichts der bevorstehenden Olympiade aus Kalkül aufgegeben worden ist, um eine erheblich zensierte Fassung zuzulassen, welche ohne Chen Kaiges Mitwirkung entstanden war - und laut Kaiges eigenen Berichten dennoch nicht ohne Wirkung auf das Publikum gewesen sein soll. (Auch Harvey Weinstein, derzeit wegen ganz anderer Untaten in aller Munde, vertrieb in den USA aus finanziellen Überlegungen zunächst bloß eine gekürzte Version.) Diese Deutlichkeit wurde indes nicht bloß in China skeptisch beäugt: Auch ein Stefan Kramer stufte den Film in seiner "Geschichte des chinesischen Films" (1997) als politische und ästhetische Annäherung an westliche Erwartungshaltungen ein, welche Hintergründigkeit durch Oberflächlichkeit ersetzt und einer "glatten Ästhetik" frönt. Dennoch ist der weltweite Erfolg des Films unbestritten und auch wenn "Ba Wang Bie Ji" etwas konventioneller erscheint - und in der Tat wie eine Vorbereitung von Chen Kaiges Weg in den Westen anmutet, wo er den Hollywoodfilm "Killing Me Softly" (2002) und zwei Episoden für die Episodenfilme "Ten Minutes Older: The Trumpet" (2002) und "Chacun son cinéma" (2007) dreht -, so besitzt er dennoch seine Qualitäten. (Den meisten Chen Kaiges der letzten zehn, fünfzehn Jahre werden vergleichbare Qualitäten meist abgesprochen: es scheint, als sei Kaiges Regie-Karriere nach "Jing ke ci qin wang" (1999, Der Kaiser und sein Attentäter) und "He ni zai yi qi" (2002, Xiaos Weg) weitgehend in der Bedeutungslosigkeit oder - im Fall von "Mei Lanfang" (2008, Forever Enthrolled) - in der Unbekannheit versunken...) Die homoerotische Freundschaftsgeschichte, die - auf einem Roman Lilian Lees basierend - vom Jahr 1924 bis ins Jahr 1977 führt, hat sich vermutlich nicht zu Unrecht einen Platz unter den größten Filmen des Jahres sichern können...
Wenngleich der Film auch hierzulande auf DVD und BluRay vorliegt, greift man aufgrund fehlender Untertitel der Originaltonspur besser zur britischen Dual Format Edition des BFI: Fassungseintrag von Venom138
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