Undercurrent (1946)
Bevor der Regisseur Vincente Minnelli bei MGM zum Starregisseur aufstieg und sich im Wesentlichen auf Hochglanzmusicals („An American in Paris“, 1951) und Melodramen („Some Came Running“, 1958) konzentrierte, wagte er einen Ausflug in düstere Genre-Gefilde: mit „Undercurrent“ brachte er am 11. November 1946 eine Film ins Kino, der rückblickend zwar einerseits nicht recht in Minnellis Filmographie zu passen scheint, andererseits aber dem zeitgenössischen Publikumsgeschmack exemplarisch entspricht.
Vor allem ab den 1940er Jahren hatte nämlich die US-Filmindustrie die Frauen als Zielpublikum für sich entdeckt und stellte weibliche Figuren in den Mittelpunkt von Romanzen, vor allem aber von Schauergeschichten und Ehedramen. Hitchcocks „Rebecca“ (1940) und der britische „Gaslight“ (1940, zu Unrecht überstrahlt vom gleichnamigen amerikanischen Remake von 1944) sind die vielleicht bekanntesten Vertreter eines Untergenres, das heute als Gothic Romance bezeichnet wird und Charakterdarstellerinnen wie Joan Crawford, Ingrid Bergman oder Bette Davis eine Bühne in bis dato ungekannter Breite überließ. Auch Minnellis „Undercurrent“ läßt deutliche Einflüsse seiner Vorbilder erkennen. Die deutlich gegen den Strich besetzte, da eigentlich auf starke Frauenfiguren abonnierte Katharine Hepburn spielt eine nicht mehr ganz junge Ann, die mit der Heirat eines charmanten Großindustriellen (Robert Taylor) in den nur scheinbar sicheren Hafen der Ehe einläuft. Denn wie sich herausstellt, hat ihr Ehemann einen ungeliebten Bruder (Robert Mitchum), und je mehr Ann über ihn herauszufinden versucht, desto tiefere Abgründe offenbaren sich nicht nur im Verhältnis der Brüder, sondern vor allem im Wesen des Mannes, den sie zu lieben glaubt. Heutigen Zuschauern mag diese Entwicklung etwas zu langsam voranschreiten und vor allem die komplette Selbstaufgabe der weiblichen Hauptfigur unangenehm aufstoßen: Ann wird als selbstbewußte und eigenständige Frau eingeführt, die sich jedoch für die Ehe komplett den Anforderungen ihres Mannes unterordnet und erst ganz zum Schluß wieder zu sich zurückfindet. Gut möglich, daß diese vorsichtige Kritik am tradierten Geschlechterrollenbild vom Hollywood-Star-System ausgehebelt wurde – nicht nur war es der erste (Schurken-)Auftritt des auf feurige Liebhaber spezialisierten Robert Taylor nach seinem Militärdienst, vor allem die Hepburn befand sich auf der Höhe ihrer Popularität und Medienpräsenz, u.a. durch ihre Liaison mit Co-Star Spencer Tracy.
Obwohl „Undercurrent“ seinerzeit an den Kinokassen durchaus erfolgreich war, ist der Film heute etwas ins Abseits geraten und entsprechend schwer zu bekommen: die deutsche DVD (Fassungseintrag) ist seit langem vergriffen, nicht alle Streaminganbieter bieten den Originalton. Auch wenn die verläßliche Online-Ressource der-film-noir.de an „Undercurrent“ wenig Gutes läßt, ist ein derart schlechter Leumund nicht gerechtfertigt: als Zeitkapsel aus den US-amerikanischen 40er Jahren bietet der Film vom harmlosen Beginn bis zum spannenden Finale einen zunehmend packenden und kompetent gemachtes Ehethriller.
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