Pink Flamingos (1972)
Sie sind Kitsch schlechthin: rosafarbene Plastikflamingos, die sich nur Menschen ohne Geschmack in ihre Gärten stellen. Und zugleich künden sie doch von Harmlosigkeit und lassen ein Bedürfnis nach Harmonie und Schönheit erahnen. John Waters, enfant terrible der US-amerikanischen Amateur- und Undergroud-Filmszene, hat es sich hier zur Aufgabe gemacht, die Geschmacklosigkeit und die Abwesenheit von Harmonie und Schönheit zu feiern. Mit seinem dritten Langfilm – nach dem noch ohne Ton gedrehten "Mondo Trasho" (1969) und "Multiple Maniacs" (1970) –, mit seinem ersten vollendeten Farbfilm – nach dem unvollendeten "Dorothy, the Kansas City Pot Head" (1968) – stellte der am 17. März 1972 in Waters' Heimatstadt Baltimore uraufgeführte "Pink Flamingos" einen gewaltigen Fortschritt dar: Ein Langspielfilm, in Farbe und mit Ton, stellte die bis dahin stärkste Annäherung an konverntionelle Spielfilmkost dar. Die Dramaturgie blieb indes wie zuvor episodenhaft und holperig, voller Leerlauf und Richtungslosigkeit. Aber darauf sollte es nicht ankommen, denn "Pink Flamingos" setzte voll und ganz auf spekulative Exzesse jenseits des guten Geschmacks, sodass Waters nun endgültig der Prince of Puke und Pope of Trash der Midnight Movie-Szene wurde: zuckende Schließmuskel in Großaufnahme, beim Sex getötete Hühnchen, vermeintliche Frauen, die im Stadtpark ihren Penis zücken, Fettleibigkeit in gewagten Kostümen und natürlich der Gipfel der Films – ein vom Star Divine auf offener Straße verschlungener, frisch ausgeschiedener Haufen Hundescheiße. All dies rankt sich um eine lose Geschichte, in der die Marbles – ein Pärchen mit festem Wohnsitz, das milden Perversionen und ruchlosen kriminellen Aktivitäten nachgeht – der als Outlaw im Wohnwagen hausenden, polizeilich gesuchten Divine den Status der Filthiest Person Alive streitig zu machen versuchen. Die Perversionen und die mangelnde Gesellschaftsfähigkeit von Divine und ihren Kumpaninnen sind lustvoll und anarchisch, ihre Gewalt richtet sich eher defensiv nur gegen die bürgerlicher auftretenden Marbles und die von diesen instrumentalisierte Polizei: Divine ist queer, die Marbles (David Lochary und Mink Stole) hingegen nicht bloß der heterosexuellen Zweierbeziehung zugewandt, sondern explizit anti-queer, wenn sich Raymond Marble als Exhibitionist angewidert abwendet, als sein belästigtes Opfer, eine vermeintliche Frau, ihrerseits seinen Penis zückt. Dass die Marbles entführte Mädchen von ihrem Bediensteten schwängern lassen, um die Baby an lesbische Paare zu verkaufen, ist freilich kein Akt der Solidarisierung, sondern Ausbeutung gleich zweier Parteien bzw. Opfergruppen. Und so durchzieht eine sonderbare, irritierende Form von Moral diesen hochgradig geschmacklosen Film, der mit "Female Trouble" (1974) und "Desperate Living" (1977) das frühe Hauptwerk von John Waters ausmacht.
Das Review von Mountie blickt auf den Kultfilm und darüber hinaus, kontextualisiert Waters Klassiker über eine jüngere Filmlandschaft des Fäkalhumors.
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