Trzecia czesc nocy (1971) & Szamanka (1996)
Andrzej Zulawski gehört zu den größten polnischen Filmregisseuren (nicht nur) seiner Generation. Wie viele von diesen (Jerzy Skolimowski, Roman Polanski, die ca. 10 Jahre jüngere Agnieszka Holland oder auch noch der etwa 15 Jahre ältere Walerian Borowczyk) arbeitete Zulawski vornehmlich im Ausland: in Frankreich, wo er bedingt durch die Arbeit seines Vaters aufgewachsen war. Auslöser für diese Verlegung von Polen nach Frankreich war die Zensur seines zweiten Langfilms "Diabel" (1972) in Polen. Nachdem er in Frankreich mit "L'important c'est d'aimer" (1975) einen beachtlichen Erfolg erlangen konnte, versuchte er es noch einmal in Polen. Die Verfilmung einer Trilogie seines Großvaters Jerzy Zulawski geriet zur beklemmenden Erfahrung: "Na srebrnym globie" wurde 1978 nach 80% der Dreharbeiten von Behördenseite gestoppt und konnte erst 1988 fragmentarisch und notdürftig nachbearbeitet veröffentlicht werden. Davon abgesehen blieb Frankreich bis Anfang der 90er Jahre seine bevorzugte Spielwiese: Erst für "Szamanka" kehrte er nochals nach Polen zurück, um aber die folgenden letzten zwei Film wiederum in Frankreich zu realisieren.
"Szamanka", "Na srebrnym globie" und "Diabel", den Marksteinen seines Schaffens innerhalb Polens, ist gemeinsam, dass es sich um phantastische Filme handelt... was auch für "Trzecia czesc nocy" gilt, seinen spätestens am 6. September 1971 in Venedig uraufgeführten ersten Langfilm gilt.
Dabei ist "Trzecia czesc nocy" vor allem ein leicht biografisch motiviertes Kriegs- und Historiendrama aus dem Zweiten Weltkrieg, fußend auch auf Berichten seines Vaters. In dem Drama kann die Hauptfigur Michal zwar die Ermordung der eigenen Familie nicht verhindern, stößt aber anschließend im Widerstand gegen die deutschen Besatzer im Warschau zu Beginn der 40er Jahre auf eine hochschwangere Frau, die seiner gemordeten Gattin aufs Haar gleicht: Doppelrolle für Malgorzata Braunek, Zulawskis Lebensgefährtin. Da deren Mann mit ihm selbst verwechselt wurde, als er sich gerade auf der Flucht befand, fühlt sich Michal verantwortlich; zudem bietet sich die Möglichkeit der Wiederherstellung eines Familienverhältnisses, vielleicht gar der Verhinderung einer "nochmaligen" Tötung der Frau an seiner Seite. Zwischen Typhus-Impfstoff-Fabriken, Deportationen und Exekutionen entspinnt sich somit ein hochsymbolisches, leicht surreales, fiebriges Drama, das von Doppelgängermotiven über biblische Allegorien bis hin zu verstörenden Schocks und einer beunruhigenden Pointe diverse Bestandteile der Phantastik in sich aufnimmt. Von der polnischen Schule schlugen sich kaum Einflüsse in "Trzecia czesc nocy" nieder, der um so stärker Zulawskis eigenes (und eigenwilliges, kraftvolles) Œuvre vorwegnimmt. Und auch die Trennung Zulawskis von Braunek scheint hier schon vorweggennomen worden zu sein, gleichwohl die Beziehung damals gerade am Anfang oder auf dem Höhepunkt gestanden hat: In "Possession" (1981), dem einzigen französischen phantastischen Film Zulawskis, spiegelt sich – abermals in einem Doppelgängerstoff in einem gespaltenen Deutschland – anhand einer bizarren Beziehung zwischen Sam Neill und Isabelle Adjani Zulawskis Trennungserfahrung, nachdem die Beziehung zu Braunek 1976 endete. Seit fast 15 Jahren liegt Zulawskis erster Langfilm nunmehr bei Second Run auf DVD vor: Fassungseintrag von eltopo
In "Szamanka", der im Mai 1996 in Polen uraufgeführten – und 25 Jahre nach "Trzecia czesc nocy" ebenfalls auf dem Filmfestival in Venedig gelaufenen – Rückkehr Zulawskis zum polnischen Film, ist das Phantastisch erneut präsent: weniger in Form einer Doppelgängergeschichte, eher in Form einer Gespalten- oder Besessenheitsgeschichte nach einem Drehbuch von Manuela Gretkowska: so oder so mag der Eindruck entstehen, dass Zulawskis Oszillieren zwischen zwei Heimaten solche Topoi begünstigte... auch weil die weibliche Hauptfigur in "Szamanka" als Italienerin in Warschau erscheint. Zwischen ihr, der Studentin, und einem – abermals Michal heißenden – Anthropologiedozenten kommt er zu einer intimen Beziehung, gleichwohl beide bereits in Partnerschaften stecken. Während im Dunstkreis der jungen Frau – die trotz vegetarischer Lebensführung eine sonderbare Fleischeslust entwickelt – die Menschen im gemeinsamen Umfeld zu Suiziden zu neigen beginnen, durchläuft der Anthropologe während der Arbeit an der Mumie eines Schamanen eine spirituelle Wandlung durch, die sich für die Beziehung als verheerend erweisen soll: "Szamanka" kulminiert und Mord & Totschlag... und Kannibalismus... Wie "Trzecia czesc nocy" und "Possession" gehört "Szamanka" sicherlich zu Zulawskis uneindeutigsten, schwierigsten und offensten Filmen. In Polen kam das vor allem in Warschau und Krakau gedrehte Werk nicht ausschließlich gut an: Aufgrund des skandalösen Elemente fiel die Kinoauswertung relativ gering aus und wurde noch zudem von mancherlei Protesten begleitet. Eine Premium Signature Edition ist 2010 bei MondoVision erschienen: Fassungseintrag von PatsyStone
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