Carne (1991)
Gaspar Noé ist - wie seine Kolleginnen Virginie Despentes und Catherine Breillat - einer der großen Skandal-Regisseure Frankreichs: Vor 14 Jahren sorgte er mit der schwer erträglichen Vergewaltigungsszene in "Irréversible" (2002) für Diskussionen. Auch der qualvolle Totschlag mit einem Feuerlöscher und die gewaltreiche Zeichnung eines Schwulenclubs, einer Domäne der Männlichkeit, in der der Regisseur höchstpersönlich vor laufender Kamera wichst, sorgte - neben der radikalen Gestaltung des Films - für Furore: Ovidie, die Ikone des ideologisch ambitionierten Pornos, hat für Noé beispielsweise keine guten Worte übrig. Auch die vorangegangenen Filme mit Philippe Nahon - "Carne" & "Seul contre tous" (1998) -, die mit "Irréversible" eine Art Trilogie bilden, wurden aufgrund der xeno- & homophoben, sexistischen, aggressiven Hauptfigur, die zunehmend Interesse an der eigenen, schutzlosen Tochter zeigt und dem Publikum in ihrem Denken detailliert nahegebracht wird, kontrovers diskutiert. "Enter the Void" (2009), der den radikalen formalen Ansatz von "Irréversible" fortführt, war als Sex- & Drogen-Drama mit diversen Schock-Szenen sicherlich nichts für zarte Gemüter, mutete aber für Noés Verhältnisse vergleichsweise sanft an. Das gilt auch für dessen jüngsten Streifen "Love" (2015), bei dem hierzulande aber dennoch zunächst nicht sicher war, wie strafrechtlich unbedenklich die Veröffentlichung für das Heimkino nun war...
"Carne", der im Mai 1991 auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes gezeigt worden war, stellte noch nicht Noés Durchbruch zum Langfilm dar, bildet aber jenen Streifen, den er mit "Seul contre tous" und teilweise mit "Irréversible" fortsetzen sollte. Stilistische Merkmale Noés findet man auch schon in anderen seiner Kurzfilme, aber "Carne" ist gewissermaßen die Keimzelle seiner späteren, äußerst selbstreflexiven Langfilm-Karriere: es ist gewissermaßen jener Kurzfilm, um den Noé-Liebhaber unmöglich herumkommen können. Schlachthausszenen und Eindrücke aus dem Mutterleib, "Blood Feast"-Zitate und warnende & kommentierende Schrifttafeln, eine fragmentierte Cadrage, eine bedeutungsschwangere Montage, eine aggressive, zermürbende Tonspur und ein Blick auf den Menschen als bloßes Fleisch: Hier ist inhaltlich & formal vieles von der Langfilmfortsetzung "Seul contre tous" enthalten; auch die späteren Filme kommen diesem Frühwerk inhaltlich teilweise recht nahe, wenngleich stilistisch einige Änderungen stattgefunden haben, die sicherlich eher ins Auge fallen als das, was beibehalten worden ist.
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