Vsichni dobrí rodáci (1969)
Anders als viele berühmte Vertreter der tschechoslowakischen neuen Welle hat Vojtech Jasný seine Karriere als Filmemacher schon Anfang der 50er Jahre begonnen – in enger Zusammenarbeit mit seinem populäreren Kollegen Karel Kachyna. Mitte der 50er Jahre entstand bereits ihr gemeinsames Langspielfilm-Debüt. Jasný konzentrierte sich Anfang der 60er Jahre auf satirische Stoffe – und als solchen mag man auch "Vsichni dobrí rodáci" betrachten, dessen Drehbuch schon in der zweiten Hälfte der 50er Jahre entstanden war. Auch wenn Jasný den Film trotz satirischer Spitzen und trotz einiger subjektiver Imaginationsbilder als seinen ersten Film über die wirklichen Gegebenheiten bezeichnete...
"Vsichni dobrí rodáci" schildert die Entwicklung eines mährischen Städtchens in den Nachkriegsjahren: beginnend 1945, endend in den späten 50er Jahren. Der Krieg hallt anfangs noch nach: Kinder spielen bewaffnet Krieg, auf einem Acker entdeckt man eine Mine und bringt sie gemeinsam zur Explosion, ehe man abends ein ausgelassenes Fest in der Schenke feiert. 1948 regiert dann der Kommunismus in der Tschechoslowakischen Republik: im Dorf bilden sich schnell verstrittene Lager, als sich einige der Männer in der kommunistischen Partei engagieren - einige aus Idealismus, andere aus Berechnung. Der wohlhabendste Gutsbesitzer wird enteignet, die Gemüter kochen hoch: ein Anschlag wird ein Menschenleben fordern, Morddrohungen werden folgen. Die einen fassen den Rückzug ins Auge, die anderen die größtmögliche Karriere; manch einer kämpft für seine Werte, andere werden unter dem herrschenden Druck gebeugt. Auch wenn mit dem Farmer František, der sich den Kommunisten widersetzt und schließlich abgeführt wird, eine positive Hauptfigur geboten wird, lenkt der Film seinen Blick insgesamt auf eine schillernde Vielzahl von Figuren: auf Zášinek, einen Bauern, der sich einst aus Angst vor den Nationalsozialisten von seiner jüdischen Frau trennte, die später im KZ verstorben ist, und der mit seiner Schuld nun nicht fertig werden kann; oder auf Bertin, den jungen Postboten, der kurz vor seiner Hochzeit mit der (als Unglücksbringerin verschrieenen) rothaarigen Dorfschönheit Machačová aufgrund einer Verwechslung mit Očenáš, dem Sekretär der kommunistischen Partei, erschossen wird; oder auf Jořka, den unverbesserlichen Langfinger, der sich bald darauf mit Machačová abgibt, um sich dann einer drohenden Haftstrafe durch Selbstverstümmelung zu entziehen, bei der er letztlich sein Leben lässt.
Tragische Geschichten zumeist, aber gespickt mit einem sanften Humor und voller Mitgefühl dargeboten, ohne ins Sentimentale oder ins Pessimistische abzurutschen. Vor allem aber ein kritischer Rückblick auf die tschechoslowakische Vergangenheit, der freilich erst im Rahmen des Prager Frühlings entstehen konnte und nicht bereits 1956, als die erste Drehbuchversion vorgelegen hatte. Formal erinnert der idyllische Farbfilm aber nur gelegentlich an die experimentelleren Formen, die man mit der Neuen Welle verbindet: Die Sterbeszenen besitzen allesamt einen avantgardistischen Touch, ein paar extreme Nahaufnahmen weisen ebenfalls einen solchen auf und in manchen Bildkompositionen, rhythmisch montierten Sequenzen oder vereinzelten Details (z.B. dem Flug der Federn) ist ein großer Gestaltungswille durchaus deutlich wahrzunehmen.
Während der Film im Mai 1969 in Cannes einen großen Eindruck hinterließ (Nominierung für die Palme d'or, Auszeichnung für die beste Regie), gewann er in der Tschechoslowakei bereits im April auf dem Finále Plzeň-Filmfest den Hauptpreis. Vom Juli 1969 an lief der Film in der Tschechoslowakei mit großem Erfolg – wenige Monate später jedoch verschwand er denn aus den Kinos und 1973 landete er dann mit Nemecs "O slavnosti a hostech" (1966), Formans "Horí, má panenko" (1967) und Schorms "Faráruv konec" (1969) als einer der für alle Zeiten zu verbietenden Titel auf der schwarzen Liste. (Auch Jasnýs etwa zeitgleich entstandener Kurzfilm "Ceská rapsodie" (1969) war alsbald einem weniger rigorosen Verbot zum Opfer gefallen.)
Für Jasný war dann die Zeit gekommen, ins Exil zu gehen. Ab 1970 drehte er für lange Zeit in Deutschland (und ist hierzulande dennoch einer der unbekannteren Regisseure der tschechoslowakischen neuen Welle geblieben): zu seinen deutschen Produktionen zählen etwa die Böll-Verfilmung "Ansichten eines Clowns" (1976), die dystopische Zamyatin-Verfilmung "Wir" (1982) sowie der Heinz-Rühmann-Film "Es gibt noch Haselnuß-Sträucher" (1983). Erst 1991 kehrte er in die Tschechische Republik zurück und drehte wieder in seiner alten Heimat; neben Dokumentarfilmen auch noch einen einzelnen Spielfilm: "Návrat ztraceného ráje" (1999), der eine lose Fortsetzung zu "Vsichni dobrí rodáci", seinem größten künstlerischen Erfolg, darstellte.
Erhältlich ist der Film beim britischen Label Second Run: Fassungseintrag von PierrotLeFou
Registrieren/Einloggen im User-Center