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von PierrotLeFou

Vor 100 Jahren: (Politisch fragwürdiger) Markstein in der Entwicklung der Filmsprache

Stichwörter: 1910er Cabanne Dixon Dwan Ford Gish Griffith Historienfilm Jubiläum Klassiker Krieg Literaturverfilmung Marsh Monumentalfilm Pallette Rassismus Spielfilm Stroheim Stummfilm USA Walsh

The Birth of a Nation (1915)

Nach ersten Erfahrungen mit längeren, etwa einstündigen Filmen langte David Wark Griffith in die Vollen und drehte den über drei Stunden dauernden Monumentalfilm "The Birth of a Nation", mit welchem er einen Markstein in der Filmgeschichte hinterließ, dessen Bedeutung noch heute allenfalls von einem Dutzend Spielfilmen erreicht wird. Die einzelnen filmsprachlichen Mittel - die Wechsel der Einstellungsgrößen, die Kamerabewegungen, die Parallelmontage, Rückblenden, Irisblenden, Doppelbelichtungen, festgelegte Filmmusik für ein spielendes Orchester - gab es zwar allesamt bereits seit einigen Jahren, doch die systematische Verbindung dieser Mittel mit diversen Massenszenen und einer ausgeklügelten, Weltgeschichte und Einzelschicksale mischenden Dramaturgie zu einem über dreistündigen Filmepos, lässt in ihrer geschickten Gestaltung noch die ambitioniertesten Vorbilder hinter sich zurück. Gerade im Hinblick auf die Montage hat Griffith - nicht nur, aber vor allem - die amerikanische Filmlandschaft für Jahrzehnte geprägt, wenngleich sich auch einige Jahre später andernorts andere Montage-Konzepte als bedeutende Strömungen durchsetzten. Auch heutigen Sehgewohnheiten kommt der Film durchaus noch sehr stark entgegen - und ist darüber hinaus mit Stareinlagen gespickt: neben Lilian Gish, Mae Marsh und Miriam Cooper sind in Mini-Rollen und Statistenauftritten unter anderem Donald Crisp, John Ford, Eugene Pallette, Raoul Walsh und Erich von Stroheim zu sehen - wenn auch nicht immer zu erkennen... Auch der Stab der Regie-Assistenten liest sich vorzüglich: neben Walsh und von Stroheim gehörten noch Christy Cabanne, Allan Dwan, W.S. Van Dyke und andere dazu.

Gemildert wird die Begeisterung, die man diesem - am 08. Februar 1915 uraufgeführten - Werk noch heute vielfach entgegenbringt, durch die rassistischen und (bewusst oder unbewusst) geschichtsverfälschenden Aspekte des arg tendenziösen Films, auf denen quasi seine gesamte Handlung beruht. Die Geschichte des Sezessionskrieges, in welchem sich ehemalige Freunde bald auf unterschiedlichen Seiten wiederfinden, um sich am Ende dennoch wieder zu vereinigen, während zugleich der Ku Klux Klan eine Gefährdung der fragwürdigen Südstaatenidylle durch - überwiegend negativ gezeichnete - befreite Sklaven, Mulatten, scalawags und carpetbaggers zurückschlägt, lässt keinen Zweifel daran, dass hier die White Supremacy-Haltung ausschlaggebend war, die ihren Höhe- bzw. Tiefpunkt in der Verklärung des Ku Klux Klans findet. Im Gegensatz zu Dixons zugrundeliegenden Bestseller "The Clansmen" (1905) ist aber Griffiths (durchaus noch herablassende & abwertende) Schilderung der Farbigen erheblich abgemildert worden, auch die aggressive Gewaltbereitschaft, die bei Dixon propagiert wird, übernimmt Griffith trotz der vorhandenen - übrigens durchaus Mitleid aufbringenden - Lynchjustiz-Sequenz mit erheblichen Einschränkungen. Dennoch waren die Unruhen, welche das neuartige und im Vorfeld mit erheblichem Aufwand beworbene Großereignis dieser monumentalen Spielfilmaufführung nach sich zog, mit den Reaktionen auf den Roman kaum zu vergleichen, kam es doch immer wieder - sogar Jahrzehnte nach der Uraufführung - zu Unruhen und Saalschlachten während mancher Aufführungen, zu Straßenschlachten, großangelegten Demonstrationen und Attentatsversuchen; infolgedessen nahm auch die Forderung der Öffentlichkeit nach Zensurmaßnahmen ganz neue Dimensionen an, zumal der Ku Klux Klan seit der Uraufführung des Films von dessen Popularität und der emotionalen Sogwirkung profitierte und erheblichen Zulauf verbuchen konnte. Griffith selbst - der sich (wenig selbstkritisch) vollkommen missverstanden fühlte - engagierte sich angesichts dieser Wendung für die Redefreiheit und reagierte mit seinem nächsten, ebenfalls überaus bedeutsamen und einflussreichen Film "Intolerance" (1916) auf die Rassismus-Vorwürfe, die noch im erstaunlichen Race film "Within Our Gates" (1920) des afroamerikanischen Regisseurs Oscar Micheaux nachhallen.
Mehr? Review von HappyHarry mit dem Harten Eine leicht greifbare und gut ausgestattete BR liegt bei Eureka vor: Fassungseintrag von Gergio


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