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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Novo Cinema-Klassiker

Stichwörter: 1960er Cunha-Telles Drama Jubiläum Klassiker Novo-Cinema Portugal Reis Rocha Spielfilm

Mudar de Vida (1966)

Der 106 Jahre alt gewordene und im letzten Jahr verstorbene Manoel de Oliveira, der zwischen 1927 und 2015 die portugiesische Filmlandschaft aktiv mitgestaltete, hatte nicht bloß bei seiner ersten Langfilm-Regieleistung "Aniki Bóbó" (1942) den italienischen Neorealismus vorweggenommen, sondern mit "Acto de Primavera" (1959-1963) - dessentwegen er von der Polícia Internacional e de Defesa do Estado verhaftet worden war - auch das Novo Cinema eingeleitet, das sich fortan bis Mitte/Ende der 70er Jahre in Portugal hielt (und nicht mit dem ähnlich klingenden Cinema Novo Brasiliens zu verwechseln ist). Zum ersten großen Aushängeschild des Novo Cinema zählt "Os Verdes Anos" (1963) von Paulo Rocha, der zwischen 1963 und 1972 bloß zwei Lang- und zwei Kurzfilme drehte, ehe er sich für ein knappes Jahrzehnt als Kulturattaché an der portugiesischen Botschaft in Japan verdingte und erst Anfang/Mitte der 80er Jahre wieder zum Kino zurückkehrte (um unter anderem eine Huldigung an seinen Landsmann und Kollegen Manoel de Oliveira zu drehen). "Os Verdes Anos" wurde damals von António da Cunha Telles produziert, der bis vor kurzem ein äußerst umtriebiger Produzent war ("La peau douce" (1964), "O Cerco" (1970), "Street of No Return" (1989), "La fille de d'Artagnan" (1994), "Sibirskiy tsiryulnik" (1998)) und als Regisseur mit "O Cerco" ein weiteres Highlight des Novo Cinema geliefert hat. De Cunha Telles, der Lissabonner Medizinstudent, studierte Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre am Pariser Institut des hautes études cinématographiques, um ab 1962 als Produzent in Portugal zu wirken: Aufgrund der strengen Zensur im Salazarismus sah sich de Cunha Telles schnell genötigt, neben rein nationalen Spielfilmen regelmäßig auch portugiesisch-französische Koproduktionen auf die Beine zu stellen, sah sich doch etwa seine ausschließlich portugiesische Produktion "Catembe" (1965) hilflos den ausufernden Eingriffen der Zensur ausgesetzt, die den Film um die Hälfte seiner Laufzeit schneiden und anschließend sogleich verbieten ließ. Einen französischen Touch besitzen mehrere de Cunha Telles-Produktionen aber auch deshalb, weil die Inhalte der jeweiligen Filme eine entsprechende Prägung aufweisen: Paulo Rocha, der zur gleichen Zeit wie sein späterer Produzent am Institut des hautes études cinématographiques studierte und dessen "Os Verdes Anos" gerne mit Antonioni verglichen wird, ist bei seinem Debütfilm deutlich vom Existenzialismus beeinflusst worden (dem auch Antonioni nahestand). Im Ausland studierte Filmschaffende wie Rocha oder de Cunha Telles hatten zudem eine Filmkunst kennengelernt, von der ein portugiesisches Publikum aufgrund der Zensur kaum etwas wusste.

Mit "Mudar de Vida" der am 10. September 1966 auf den Internationalen Filmfestpielen von Venedig erfolgreich lief - wiederholt de Cunha Telles die Zusammenarbeit mit Rocha: statt der Geschichte eines jungen Mannes, der in die Großstadt zieht und sich dort nicht zurechtfindet, erzählt Rocha nun nach einem Text von Antonio Reis der bei de Oliveiras "Acto da Primavera" Regieassistent gewesen war - eine stärker an den Neorealismus erinnernde Geschichte über einen jungen Mann, der nach seinem Militärdienst in den afrikanischen Kolonien wieder in sein Heimatdorf zurückkehrt; doch die frühere Geliebte ist längst die Frau seines Bruders geworden, der harten Arbeit auf dem Meer kann er wegen einer Verwundung nicht mehr nachgehen und überhaupt steht der kleine Ort mehr oder weniger vor dem drohenden Niedergang. Bei einem Viehzüchter findet er eine neue Arbeit und lernt schließlich eine Einzelgängerin kennen, mit der er einen Neuanfang plant. Rocha verfolgt hier vor allem ein dokumentarisches, sozialkritisches Interesse, das er in eine fiktive Geschichte gießt, welche die Kolonialkriege ebenso streift wie auch die Emigration. Gedreht hat er zum Teil mit Laiendarstellern und der von einer sorgfältigen Kameraarbeit geprägte Film setzt vornehmlich auch nüchterne, dokumentarische Eindrücke, die hin und wieder von elegischen, poesievollen Bildern durchdrungen werden. "Mudar de Vida" ist wie "Os Verdes Anos" wieder eine rein portugiesische Produktion de Cunha Telles', deren Verwirklichung den Produzenten vor einige finanzielle Probleme stellte: Der Zusammenbruch seiner eigenen Produktionsfirma im Folgejahr war schon zu erahnen gewesen. Von 1968 bis 1985 arbeitete de Cunha Telles nur noch selten als Produzent und führte stattdessen vermehrt selber Regie, wobei nur sein Debüt "O Cerco" nachhaltigen Eindruck bei Kritik und Publikum hinterließ. Als eine der für lange Zeit letzten Produktionen de Cunha Telles' und als zweite und für viele Jahre letzte Regiearbeit Rochas nimmt "Mudar de Vida" eine markante Stellung im Novo Cinema ein, welches fortan nicht mehr (wie von 1962 bis 1967) durch de Cunha Telles' Produktionen (darunter wären noch "Belarmino" (1964), "O Crime da Aldeia Velha" (1964), "As Ilhas Encantadas" (1965), "Domingo à Tarde" (1965) zu erwähnen!), sondern durch das Engagement der ab 1967 vermehrt auf den portugiesischen Film blickenden Gulbenkian-Stiftung am Leben erhalten wurde.
"Mudar de Vida" ist gemeinsam mit Rochas Debüt "Os Verdes Anos" als portugiesische Paulo Rocha-DVD-Edition Coleção Paulo Rocha Vol.1 mit englischen UT erhältlich.


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