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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Zwei (kaum) konkurrierende Verfilmungen eines großen russischen Klassikers

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Pilatus und andere - Ein Film für Karfreitag (1972) & Majstor i Margarita (1972)

Er schrieb "Zapiski yunogo vracha" (1925-1927, Aufzeichnungen eines jungen Arztes), die saukomische Satire "Sobachye serdtse" (1923/1989, Das hündische Herz) oder auch den hierzulande kürzlich neu aufgelegten Roman "Belaja gvardija" (1923-1924, Die weiße Garde), der in Kiew nach der russischen Oktoberrevolution spielt und sich derzeit als interessante Lektüre empfiehlt; aber sein Meisterwerk schuf Mikhail A. Bulgakov mit seinem vielfach überarbeiteten, erst postum veröffentlichten und zunächst erheblich zensierten "Master i Margarita" (1928-1940/1966), der neben den populärsten Romanen von Maxim Gorki, Mikhail A. Sholokhov oder Aleksandr Solzhenitsyn zu den gerühmtesten Klassikern des russischen Romanliteratur im 20. Jahrhundert gehört.
Aktuell ist gerade eine für dieses Jahr angedachte Verfilmung von Michael Lockshin unter dem Titel "Woland" in Arbeit, die umfangreichste Verfilmung kam mit "Master i Margarita" (2005) als 500minütige TV-Miniserie daher... aber erstmals verfilmt wurde sie Anfang der 70er Jahre gleich zweimal.
Ein Impuls kam aus Polen, wo die März-Unruhen von 1968, der Eindruck des Prager Frühlings und schließlich der Arbeiteraufstand des Dezembers 1970 die Ära Wladyslaw Gomulka zu einem Ende geführt hatten. Andrzej Wajda – der in den 80er Jahren die Solidarność-Bewegung begleitete – drehte als einer der größten polnischen Regisseure seiner Zeit mit dem am 29. März 1970 erstmals ausgestrahlten "Pilatus und andere - Ein Film für Karfreitag" eine (mit Hinweisen auf den Nationalsozialismus ausgestattete) Verfilmung der ausufernden Satire Bulgakovs. Allerdings als Exil-Arbeit in Deutschland, für das hiesige Fernsehen; in Polen lief der mit überwiegend polnischer Besetzung – u. a. Daniel Olbrychski und Vladek Sheybal – in polnischer Sprache gedrehte (und deutsch nachsychronisierte) Film erst 1975. Und als italienisch-jugoslawische Koproduktion mit Starbesetzung – u. a. Ugo Tognazzi, Mimsy Farmer und Alain Cuny – legte der jugoslawische Filmemacher Aleksandar Petrovic – dessen Heimatland seit 1948 zunehmend vom Sozialismus der Sowjetunion abrückte, wo Titoisten zunächst als Verräter galten – am 15. Juli 1972 seine Verfilmung "Majstor i Margarita" vor. Im Jahr darauf verließ er auf Druck die Belgrader Filmakademie aufgrund vorgeworfener anti-kommunistischer Ausrichtungen. Und "Majstor i Margarita", der auch ein bisschen auf den jugoslawischen Sozialismus abzielte, blieb zwei Dekaden verboten, als Jugoslawien die Schrauben der Zensur anzuziehen begann. Zuvor brachte der Film seinem Regisseur aber beim Festival von Pula noch den Preis für den besten Film ein – und knüpfte an den großen Erfolg von "Skupljaci perja" (1967, Anniversary-Text) an.
Man ahnt nun vielleicht, warum einer der seinerzeit erfolgreichsten und populärsten Romane, der allerdings einer gründlichen Zensur zum Opfer gefallen war, nicht in Russland, wohl aber in Ländern, die sich von der Sowjetunion emanzipiert( hatt)en, verfilmt wurde. Denn Bulgakovs Roman, eine satirische Phantasie zwischen Goethe und Gogol, schildert ungefähr folgendes: Voland, Zauberkünstler aus dem Ausland und tatsächlich der Teufel, treibt im Moskau der 30er Jahre sein höchst episodenhaftes Unwesen. Teils wenig schmeichelhaft gezeichnete Moskauer werden von ihm inmitten des bürokratischen Alltags gefoppt, der durch Volands Treiben noch eine ganze Spur absonderlicher gerät. Einen Dichter verschlägt es nach der Begegnung mit Voland ins Irrenhaus. In einer seiner Dichtungen befasste er sich mit der Nichtexistenz von Jesus Christus. Im Irrenhaus trifft er nun den Meister: ein Dichter, der seinen Pontius-Pilatus-Roman nur teilweise veröffentlichen konnte, schlechte Kritiken erntete und schier den Verstand verloren hat. In diesem Roman erkannte Jesus, dass jede Staatsmacht dem Menschen Gewalt zufüge... und Pilatus konnte nicht anders, als ihn hinrichten zu lassen. Des Meisters Geliebte, Margarita, paktiert indes mit Voland, um noch einmal an des Meisters Seite sein zu können. Nebenbei ist dessen Pilatus-Roman immer wieder Teil des Romans Bulgakows – bis Matthäus ebendiesem entsteigt, um Voland den Willen Jesu Christi aufzuzwingen, sodass der Meister und Margarita ihr (etwas ironisches) Happy End erleben dürfen.
Nun dürfte klar sein, weshalb Wajdas und Petrovics Verfilmungen einander kaum Konkurrenz machten: nicht bloß deshalb, weil Wajdas deutscher TV-Film auf vergleichsweise wenig Resonanz stieß, sondern auch deshalb, weil sich Wajda – der ohnehin schon eine Weile mit einem Passionsfilm liebäugelte – auf den Roman im Roman konzentrierte – während Petrovic das überbordende, komplex zerfasernde, übervolle Gesamtkonstrukt zu händeln bemüht war.
Während Petrovics Version seit 2015 bei Koch Media auf DVD und Blu-ray vorliegt (Fassungseintrag von Digby), ist Wajdas selten zu sehende Verfilmung zumindest in der so umfangreichen wie kostspieligen, aber unbedingt empfehlenswerten Wajda Antologia Filmowa von CRF zu bekommen: Fassungseintrag von PierrotLeFou


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