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von ratz

Vor 75 Jahren: RKO vs. Orson Welles – ein Desaster?

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The Magnificent Ambersons (1942)

Wer den zweiten Spielfilm des Hollywood-Wunderkinds Orson Welles zum ersten oder auch zum wiederholten Mal sieht, ist gut beraten, alles, was er über die Hintergründe der Entstehung von „The Magnificent Ambersons“ weiß, für eine Weile zu vergessen. Die schwere Hypothek, die auf dem Film lastet und auf die sogleich näher eingegangen werden soll, könnte sonst den Blick darauf verstellen, daß die Verfilmung des preisgekrönten Romans von Booth Tarkington ein sehenswerter, vielschichtiger und bewegender Bericht vom Niedergang einer Familie, ja eines ganzen Zeitalters ist. Sicherlich entspricht die Fassung, die am 10. Juli 1942 in den US-Kinos anlief, längst nicht der Vision ihres Regisseurs, aber sie hat ihre herausragenden Momente und ist alles andere als ein Fehlschlag, wie nicht zuletzt der damalige und heutige Zuspruch des Publikums beweist.

Doch wie schon angedeutet, gilt „The Magnificent Ambersons“ weithin und zu Recht als ein verhindertes Meisterwerk, denn Welles konnte den Film nicht selbst fertigstellen und machte nach dem in kompletter Eigenverantwortung produzierten „Citizen Kane“ (1941) am eigenen Leib bzw. Werk die Erfahrung, wie Hollywood-Studiobosse (in diesem Fall von RKO Radio Pictures) nach eigenem Gutdünken und Kalkül mit dem vorhandenen Material verfuhren. Die Preview-Version wurde von 131 auf 88 Minuten zusammengekürzt, es wurden Szenen verändert oder hinzugefügt, ein von Welles nicht vorgesehenes Happy End produziert und das „überflüssige“ Filmmaterial kurzerhand vernichtet. Welles hatte dieses Vorgehen nie verwunden und bis in die 60er Jahre mit dem Gedanken gespielt, sein eigenes Ende nachzudrehen, wozu es freilich nicht kam. Doch so sehr die vertane Chance eines Gegenstücks zu „Citizen Kane“ die Filmwelt schmerzen mag, so findet sich in der bis heute einzigen Fassung von „The Magnificent Ambersons“ neben allen Makeln – die vom Studio nachgedrehten Szenen stechen teilweise deutlich heraus, die massiven Kürzungen verhindern einen homogenen Erzählbogen – doch immer wieder die filmische Handschrift ihres Regisseurs. Seien es Dialogpassagen, die bis zu viereinhalb ungeschnittene Minuten dauern und dabei mühelos die Spannung halten, seien es die ungewöhnlichen Kameraperspektiven in der bedrückend verschatteten Villa der Ambersons oder auch geniale Montagesequenzen, etwa wenn ein Automobil zum Fahren gebracht werden soll – die visuelle Extravaganz von Welles ist allgegenwärtig. Aber auch die parabelhafte und nostalgische Botschaft vom Verlust der Langsamkeit, die mit der zunehmenden Beschleunigung der Welt einhergeht, sowie die Schilderung vom Niedergang einer wohlhabenden Familie durch unerfüllte Liebe und Eifersucht lassen wohl keinen Zuschauer unberührt. Schließlich tragen die gestandenen Schauspieler aus der Mercury-Riege wie Joseph Cotton und Agnes Moorehead, aber auch die junge Anne Baxter und Tim Holt dazu bei, den Figuren Tiefe und Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Wer also all diese Tugenden von „The Magnificent Ambersons“ in die Waagschale wirft und der verlorenen Urversion nicht nachtrauert, sieht immer noch einen guten Film mit vereinzelten großartigen Passagen. In Deutschland ist dies mittels der bei Arthaus/Kinowelt erschienen DVD möglich (Fassungseintrag von DerPate), die allerdings auf einem mäßigen Bildmaster beruht. Die sehr viel bessere DVD aus den USA (Fassungseintrag) ist allerdings vergriffen, die Qualität der in Japan erhältlichen Blu-ray dem Vernehmen nach enttäuschend. Als Kritik sei diesmal der ausführliche „Wiederaufführung“-Podcast, u.a. von und mit MMeXX, empfohlen.


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