Entr'acte (1924) & Ballet mécanique (1924)
Am 27. November 1924 wurde René Clairs "Entr'acte" uraufgeführt, der heute zu den großen Marksteinen in der Geschichte des Avantgardefilms, damals aber als Zwischenspiel eines Ballets gedacht war. Besagtes Ballet fußte auf einem Libretto von Francis Picabia, der als Maler und auch als Schriftsteller, der aus den Strömungen von Impressionismus, Kubismus, Fauvismus und schließlich Dadaismus hervorgegangen ist – und der eben auch für weite Teile des Konzepts von "Entr'acte" verantwortlich war, in dem er neben Erik Satie (der als Komponist an dem Ballet beteiligt war) und dem Ballettänzer Jean Börlin vor der Kamera agierte. Neben ihnen agierten unter anderem noch der spätere Filmmusik-Komponist George Auric, Man Ray und Picabias Wegbegleiter Marcel Duchamp. Zu sehen sind mit absurden Witz vermengte Einzelszenen ohne engeren Zusammenhang: Hier spielt man Schach, dort tanzt aus extremer Untersicht betrachtet eine Ballerina, ei Ei schwebt auf einer Fontäne und ein Dromedar zieht einen Leichenwagen, hinter dem in Zeitlupe eine Trauergesellschafts nachläuft. Die Montage der disparaten Eindrücke erinnert an eine dadaistische Collage, derweil sich manche Bildkompositionen vor der Kamera eher am Surrealismus zu orientieren scheinen. Diesen Strömungen ist "Entr'acte" mit Leichtigkeit zuzuordnen, derweil es schwer fällt, diesen Kurz-Stummfilm mit dem Schaffen René Clairs zu vereinbaren, der zwar Mitte der 20er Jahre gleich mehrere Avantgarde-Kurzfilme drehte, in Tonfilm-Zeiten dann aber doch mit wesentlich konventionelleren Dramen, Komödien und phantastischen Stoffen Karriere machte.
Der andere große französische Avantgardefilm aus dem Jahr 1924 war der am 24. September uraufgeführte "Ballet mécanique" von Dudley Murphy und Fernand Léger (der als Maler ebenfalls zu Picabias Bekannten zählte). Léger hatte nach Ende des Ersten Weltkrieges mit einer "période mécanique" begonnen, in der sich die Faszination für das Mechanische und Maschinelle niederschlug. "Ballet mécanique" ist dafür ein Beispiel – und zugleich der zweite große Avantgardefilmklassiker, der sich seinen Bezugspunkt im Ballet suchte. Perpendikel und Schaukel erzeugen den Rhythmus, von allen Seiten gefilmt, einfach, gespiegelt, kaleidoskopartig verfremdet. Hinzu kommen Jahrmarktattraktionen und Automobile, dann Stangenantriebe und Kurbeln. Menschliche Leiber sind nur kurz oder aber fragmentarisch zu sehen, sie werden von den Maschinen geradezu einverleibt. Fragmentarisch, das heißt: Entweder zu weiten Teilen im Off des Bildes bleibend, oder tatsächlich fragmentiert, als abgetrenntes Bein einer Schaufensterpuppe etwa. Charlie Chaplin taucht auch schon einmal zur Gänze vor der Kamera auf: allerdings nur als kubistische Zeichnung – die bereits 1921 animiert wurde – und somit bereits ins Reich der Technik überführt. Ausgenommen bleibt vielleicht die alte Dame, die mehrfach mühsam auf einer Treppe der Kamera entgegensteigt: eine alte Generation, die noch nicht im Rausch der Technik mitgerissen wird. Der Tonfall ist bei alledem insgesamt eher flott, mitreißend und überraschend heiter, wenn man berücksichtigt, dass Légers Reaktion auf alles Mechanische eine (zumindest) zeitliche Folge des Ersten Weltkrieges war. Und wie bei Clair ist auch hier Man Ray am fertigen Film beteiligt gewesen: hinter, nicht vor der Kamera, vor der dafür allerdings Rays Muse Kiki de Montparnasse stand.
Registrieren/Einloggen im User-Center