Sonnensucher (1958/1972)
Die Tauwetterperiode nach Stalins Tod 1953 und die Machtübernahme Nikita Chruschtschows in der Sowjetunion ermöglichte es Künstlern im gesamten Ostblock, wenigstens für einige Jahre einen kritischeren Blick auf die unmittelbare Vergangenheit und die Gegenwart zu werfen. Konrad Wolfs vierter Spielfilm „Sonnensucher“ tat genau dies, und obwohl der Film 1958 bereits fertiggestellt war, wurde seine Premiere zunächst verschoben, bevor er 1959 dann gänzlich verboten wurde. Erst am 1. September 1972 war er nach einer Fernsehausstrahlung auch im Kino zu sehen.
Warum also wurde mit „Sonnensucher“ der Film eines durchaus linientreuen Regisseurs trotz politisch entspannter Lage verboten? Konrad Wolf packt gleich mehrere heiße Eisen an: Sein Bergarbeiterfilm zeigt, wie in der gerade neu gegründeten DDR Ende der 1940er Jahre wegen Arbeitskräftemangel gesellschaftlich unerwünschte Gruppen (Prostituierte, Kriminelle, Ex-Nazis) zu Zwangsarbeit verpflichtet wurden. Er zeigt, daß es Konflikte sowohl zwischen der sowjetischen Bergwerksleitung und der deutschen Belegschaft als auch unter den Mitgliedern der kommunistischen Partei gab. Er zeigt, daß ein Flüchtlingsmädchen völlig der Willkür der Institutionen und den sexuellen Übergriffen im Prinzip jedes Mannes ausgesetzt war. Kurz, Wolf schildert, wie die Menschen im Umkreis des „Wismut“-Bergbauunternehmens alles andere als strahlende neue Menschen des Kommunismus sind, sondern (um im Bild zu bleiben) höchstens das Roherz, dessen ihm innewohnender Wert erst noch mühsam gewonnen werden muß. „Sonnensucher“ stellt sich dabei bedingungslos auf die Seite jener imperfekten und zugleich vielschichtigen Charaktere und zeichnet ein komplexes Beziehungsnetz aus Loyalitäten, Animositäten, Begehren, Angst und Hoffnung. Die bewegliche, mit expressionistischen Blickwinkeln arbeitende Kamera von Werner Bergmann arbeitet gelegentlich sogar mit POV-Einstellungen, um den Zuschauer in die Perspektive der Handelnden zu zwingen – eine experimentelle Bildgestaltung, wie sie später nicht mehr im DDR-Film zu sehen war. Sie bietet sowohl den etablierten DEFA-Stars Erwin Geschonneck, Günther Simon und Manja Behrens als auch den Newcomern Ulrike Behrmann von Zerboni und Willi Schrade eine perfekte Bühne für ihr impulsives Spiel.
Die Quellenlage suggeriert, daß Wolf mit „Sonnensucher“ zwar nach einigen Bemühungen die DDR-Führung überzeugen konnte, daß aber die sowjetische Botschaft intervenierte und das Verbot des Films forderte. Vermutlich war es die etwas zu detaillierte Darstellung des Uranabbaus, der für das sowjetische Atomprogramm den begehrten Rohstoff lieferte, um im atomaren Wettlauf mit den Westmächten bestehen zu können. Konrad Wolfs Karriere nahm indessen keinen Schaden, er gilt heute trotz seiner Systemtreue als der wichtigste DEFA-Regisseur überhaupt, entsprechend ist 2018 eine ihm gewidmete DVD-Box seiner Filme herausgekommen, in der natürlich auch „Sonnensucher“ samt umfangreichen, informativen Extras enthalten ist (Fassungseintrag der Neuauflage von 2021). Einen Überblick über die Handlung bietet die kurze Inhaltsangabe.
Registrieren/Einloggen im User-Center