Regarde la mer (1997)
In den frühen 2000er Jahren zeichnete sich ab, dass François Ozon dabei war, zu den großen französischen Autorenfilmern der Gegenwart zu avancieren. Mit der Fassbinder-Verfilmung "Gouttes d'eau sur pierres brûlantes" (2000) hatte er sich ohnehin die Aufmerksamkeit der Cinephilen gesichert, denen Fassbinder oftmals heilig war, mit dem Drama "Sous le sable" (2000) und erst recht mit der ensemblefilmartigen Kriminalkomödie "8 femmes" (2002) war er dann quasi in der A-Liga angekommen: Bis heute kann sich jeder seiner Filme der Aufmerksamkeit und vielfach auch des Zuspruchs der Filmkritik gewiss sein. Mit "Peter von Kant" (2022) ist er jüngst nun auch wieder zum Ansatz eines seiner Frühwerke zurückgekehrt – und sicherlich kann man allerlei Kontinuitäten in Ozons Schaffen ausmachen: Das Spiel mit geschlechtlicher Identität, das im Kurzfilm "Une robe d'été" (1996) ebenso vorkommt wie in "Une nouvelle amie" (2014) oder (am Rande, fast als Selbstzitat) in "Été 85" (2020); die Frauenfiguren, die vielfach im Zentrum der Handlung stehen, in "Sous le sable" und "8 femmes" ebenso wie in "Angel" (2007), "Potiche" (2010), "Jeune & jolie" (2013), "L'amant double" (2017) oder "Tout s'est bien passé" (2021): sie geben oftmals nicht bloß eine bessere Figur ab als die männlichen Charaktere, sondern werden oftmals auch von den großen Damen der Filmgeschichte verkörpert, denen Ozon immer wieder mit Haupt- und Nebenrollen Huldigungen zuteil werden lässt – Jeanne Moreau, Charlotte Rampling, Catherine Daneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Hanny Schygulla, Sophie Marceau, Isabelle Adjani... Und schaut man auf seine Filme der letzten Jahre, so überwiegt eine Zärtlichkeit und Wärme, eine Menschlichkeit und Versöhnlichkeit, die selbst noch die abgründigeren Filme durchzieht: seien es Filme über Sterbehilfe ("Tout s'est bien passé"), über Tod und Verlust ("Été 85"), über Kindesmissbrauch ("Grâce à Dieu" (2018)) oder Psychothriller ("L'amant double"). In Letzterem blitzt noch wie auch in "Peter von Kant" am ehesten die Kälte und Schärfe, die Faszination für das Abgründige und Verstörende auf, die in Ozons frühem Werk häufiger zu bemerken war; auch in einer Szene in "Tout s'est bien passé" verrät sie sich, wenn eine Protagonistin begeistert einen so billigen wie derben Splatterfilm im Flimmerkasten genießt. Das erinnert daran, dass Ozon in seiner Satire "Sitcom" (1998), in dem märchenhaften Thriller "Les amants criminels" (1999) oder in der Geschichte einer Vierecksbeziehung in "Gouttes d'eau sur pierres brûlantes" (2000) noch durchweg Lust an der Provokation erkennen ließ. Am deutlichsten aber trat diese in seinem Übergangswerk vom Kurz- zum Langspielfilm auf: Das Kurfilmformat hatte Ozon, der seit 1988 als Filmregisseur tätig war, nach den meisten Definitionen des Formats schon mit "Jospin s'éclaire" (1995) verlassen – ein Dokumentarfilm, der die TV-Format-taugliche Länge von 52 Minuten aufwies. Diese Länge erreichte zwei Jahre darauf auch "Regarde la mer".
In diesem am 3. Dezember 1997 erstmals gezeigten mittellangen Spielfilm zeigt sich Ozon von seiner rabenschwarzen Seite: Eine junge Camperin dringt hier zunehmend in den Alltag einer jungen Mutter und ihrer Neugeborenen ein. Während der Partner bzw. Vater abwesend ist, verbringt die Mutter dort mit ihrer Tochter die Zeit und ist zunächst – nach allererster Zurückweisung und Distanzierung – doch durchaus dankbar für die Abwechslung und Freundschaft, die sich ergibt. Doch je enger die Beziehung wird, desto irritierender erscheint das Verhalten der Fremden. Mit der Ankunft des Mannes und Vaters rutscht das Ganze dann in die Gefilde des Horror- und Terrorfilms... Passenderweise spielt Marina de Van die Fremde: als Regisseurin von "Dans ma peau" (2002) oder "Dark Touch" (2013) sollte sich da Van späterhin als Regisseurin wahrlich abgründiger Stoffe hervortun.
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