La sindrome di Stendhal (1996) & Fatal Frames (1996) & L'arcano incantatore (1996)
In den goldenen 60er Jahren des italienischen Kinos etablierte sich nicht bloß ein international beachtetes post-neorealistisches Autorenfilmkino, sondern auch etliche Genres, die in den 70er Jahren dann große Erfolge im kommerzielleren italienischen Kino feiern konnten, erlebten hier einen wichtigen Vorschub: den Horrorfilm trieben Renato Polselli, Piero Regnoli, Camillo Mastrocinque, Mario Caiano, Massimo Pupillo, Alberto De Martino, Giorgio Ferroni, Riccardo Freda, Antonio Margheriti und natürlich Mario Bava in dieser Dekade voran, woraufhin er dann in den 70er Jahren unter anderem von Dario Argento, Sergio Martino, Lucio Fulci, Aldo Lado, Umberto Lenzi, Joe D'Amato, Pupi Avati, Massimo Dallamano, Emilio Miraglia, Luigi Batzella oder Antonio Bido bedient worden war. Insbesondere der harte Horrorfilm mit Splatter-Ästhetik blühte nach George A. Romeros (von Dario Argento für den europäischen Markt bearbeiteten) "Dawn of the Dead" (1978) in den Jahren ab 1979 für eine knappe halbe Dekade so richtig auf. Wirtschaftskrise und boomende Fernsehsender setzten dem italienischen Film dann bereits mehr und mehr zu – und der Ruhestand bzw. das Ableben von Riccardo Freda oder Mario Bava in den frühen 80er Jahren können durchaus als Marksteine angesehen werden, auch wenn beide ihre produktivsten und einflussreichsten Zeiten ohnehin schon überschritten hatten. Mitte der 80er Jahre wurde der Italo-Horrorfilm seltener, günstiger und oftmals schlechter. Die Fulci-Schule ist für dieses Scheitern besonders bezeichnend: zwischen 1982 und 1984 verlieren die anlaufenden Fulcis an Relevanz, ab 1988 folgten vornehmlich Video- und TV-Filme des einstigen Aushängeschilds italienischen Horrorkinos, die von Fulci produzierten Filme Gianni Martuccis und Andrea Bianchis ließen jegliche Qualität weitgehend vermissen. Ein Ruggero Deodato bediente das Genre Ende der 80er Jahre nur noch selten, Lamberto Bava wanderte ab Mitte der 80er Jahre oftmals in TV-Gefilde ab – und Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre blieben kleine Hoffnungsträger wie Mariano Baino, Gianfranco Giagni oder Maurizio Zaccaro nach beachteten Horrorfilmdebüts zur Untätigkeit verdammt. Fabio Salerno, einer der vielversprechenden Amateurfilmer der jüngsten Generation, nahm sich nach seinem ersten Langfilm sogar das Leben.
Eine Ausnahme blieb Dario Argento, der als Regisseur und Produzent mit Mitstreitern wie Michele Soavi – der zwischen 1987 und 1994 vier kleine Perlen des italienischen Horrorfilms abliefern konnte – und Lamberto Bava das Genre noch Ende der 80er Jahre qualitativ und quantitativ gleichermaßen zu bedienen vermochte. Anders als Bava und Soavi konnte Argento selbst bis 2012 Horrorfilme für die (nicht unbedingt sonderlich großen) Leinwände abliefern, wenn auch mit abnehmender Qualität. Sein ab dem 26. Januar 1996 gezeigter "La sindrome di Stendhal" galt bald als bestes Argento-Spätwerk und stellt noch einmal einen kleinen Höhepunkt italienischen Horrorkinos dar – in einem Jahr, in dem das Genre in Italien (ein Vierteljahrhundert nach einer Hochphase des giallo-Thrillers) doch noch einmal einen trügerischen Aufwind zu erleben schien: auch weil Lucio Fulci mit dem von ihm selbst und Dario Argento geschriebenen "M.D.C. - Maschera di cera", den schließlich Sergio Stivaletti nach Fulcis Ableben realisierte, ein ambitionierteres Projekt plante.
In "La sindrome di Stendhal" erfährt die Kommissarin Anna Manni (Asia Argento) nicht nur in einem Florentiner Museum, dass sie am Stendhal Syndrom leidet, als sie unter den vielen visuellen Reizen kurzzeitig den Sinn für die Realität verliert, sondern wird wenig später das Opfer einer Vergewaltigung. Es wird wird zu einer weiteren Konfrontation mit dem Täter (Thomas Kretschmann) kommen, der diese nicht überleben wird. Anna Manni indes wird nach diesen Ereignissen noch auf weitere Weise den Sinn für die Realität verlieren... In dem mysteriösen Psychothriller, dessen audio-visuelle Extravaganz allerdings trotz Giuseppe Rotunnos Kameraarbeit und Ennio Morricones Soundtrack nicht vollständig an Argentos einstige Größe heranreicht, vermengt der Filmemacher eine für seine Verhältnisse relativ sensible psychologische Studie mit den drastischen Schockeffekten und Verstößen gegen allerlei Tabus, die schon seine vorherigen gialli auszeichneten. Die nicht unbedingt glaubwürdig konstruierte Psychologie des Films mag zur Schmähkritik reizen, aber in seiner konsequenten Thematisierung von Wirklichkeit, Wahn und Visualität spitzt Argento hier zumindest ein Leitmotiv seiner gialli zu. Nachdem "Due occhi diabolici" (1990) und "Trauma" (1993) eher einheitlich als mau eingestufte Argentos in die Filmografie des maestros eingegangen waren, mauserte sich "La sindrome di Stendhal" immerhin zu einem durchaus umstrittenen Klassiker seines Spätwerkes.
Stefan M ergreift in seinem Review als Fürsprecher des Films für ihn Stellung.
Al Festa, der seit Ende der 80er Jahre einige (wenige) Soundtracks und Kompositionen zum italienischen Genrefilm beisteuerte, brachte mit seiner zweiten Regiearbeit, seinem ersten Horrorfilm "Fatal Frames", im Februar 1996 einen weiteren prestigeträchtigen Film auf die (Festival-)Leinwände, der letztlich aber eher als enttäuschender Rohrkrepierer gescholten wurde: Dabei liest sich die Besetzung mit David Warbeck, Alida Valli, Donald Pleasence, Linnea Quigley und Angus Scrimm höchst verlockend für Genre-Fans – und unübersehbar knüpft Festa mit der Geschichte eines ausländischen Musikvideo-Regisseurs, der sich während seiner Arbeit in Italien mit grausigen Morden an jungen Frauen konfrontiert sieht, an Dario Argentos gialli an. Auch die Inszenierung orientiert sich mit dem blau-roten Look an Argento und legt – wie das große Vorbild – vom (s/w-)Beginn an viel Wert darauf, als ausgesprochen stylisch zu erscheinen und sich selbstreflexiv zu thematisieren; teilweise lehnen sich auch die Mordszenarios und allerlei kleine Handlungsversatzstücke deutlich an die Argento-gialli an (während kleinere Referenzen etwa an Fellinis "La dolce vita" (1960) freilich willkürliche Gags bleiben). Doch die vor allem montagelastigen Anleihen an einer modischen 90er-Jahre-Videoclip-Ästhetik, die all zu standardisierte, plagiierende Handlung mit Over-the-Top-Intrigen-Finale, Defizite bei den tragenden HauptdarstellerInnen – insbesondere bei Stefania Stella (als sie selbst) – und ein auf über 130 Minuten immer wieder zwischen Musikvideo-Nummern und elegischen ruhigen Pausen durchhängender Spannungsbogen sorgten für einen geringen Zuspruch bei der Zielgruppe, der im Laufe der Jahre noch abgenommen hat. "Fatal Frames" ist eher die geringfügig spannende, unfreiwillig komische giallo-Kopie mit viel Trash-Appeal. Für Liebhaber des italienischen Horrorfilms ist er wegen seiner Ambitionen inmitten der ärmlichen 90er-Jahre-Horrorfilmlandschaft Italiens sicher einen Blick wert: auf eine Enttäuschung sollte man sich aber einstellen. Al Festa sollte dann erst wieder mit "L'Eremita" (2012) auf dem Regiestuhl Platz nehmen (und erneut einen Horrorfilm abliefern): auf der IMDb hat dieser Film im Laufe der letzten Dekade nicht einmal fünf Bewertungen erhalten.
Das Review von Boxhamster und das leicht wohlwollendere Review von Graveworm können stellvertretend für den allgemeinen Tenor der Zielgruppe einstehen.
Weniger großspurig als der mit einem Fulci Award ausgezeichnete "Fatal Frames" ist hingegen der am 19. April 1996 erstmals veröffentlichte "L'arcano incantatore" aufgetreten, der zwar anders als Festas Film hierzulande noch immer nicht veröffentlicht worden ist, aber mittlerweile seine kleine Gruppe von Bewunderern auch außerhalb Italiens gefunden hat. Daran dürfte vor allem die Regie Pupi Avatis verantwortlich sein. Avati, der vor allem mit "La casa dalle finestre che ridono" (1976) und "Zeder" (1983) kleine Glanzlichter im Italo-Horrorfilm hinterlassen hatte und sich später mit "Il nascondiglio" (2007) und "Il signor Diavolo" (2019) im Genre zurückmeldete, gilt als einer der talentierteren, seriösesten Regisseure des italienischen Horrorfilms, der in der Filmografie dieses Filmemachers nur einen recht geringen Raum einnimmt (sodass "L'arcano incantatore", der wie ein Historiendrama mit gothic-Versatzstücken beginnt, letztlich ein breiteres Publikum anpeilen konnte). In dieser zurückhaltenden gothic horror-Geschichte gerät der Alumne Giacomo Vigetti, der sich nach der Schwängerung einer jungen Frau aus Bologna fortbegibt, in die Obhut eines exkommunizierten Monsignore, der ihn als Sekretär in seiner umfangreichen Privatbibliothek beschäftigt, nachdem der vorangegangene Sekretär Nerio verstorben ist – aber dennoch Thema bleibt. Doch der Alte scheint sich der schwarzen Künste verschrieben zu haben... Wie "Zeder" ist auch "L'arcano incantatore" ein Film der leisen Töne, der sein Grauen gemächlich entwickelt. Wie in "La casa dalle finestre che ridono" und "Il nascondiglio" ist es zunächst ein Raunen und Wispern, das beunruhigt, ein klagender Wind oder ein unheimlicher Schattenwurf, ehe dann am Ende das Grauen recht aggressiv ausbricht. "L'arcano incantatore" mag mit seiner kammerspielartigen Struktur im begrenzten Setting besonders zurückhaltend und gemächlich anmuten, ist aber nicht weniger souverän inszeniert worden und letztlich ähnlich effektiv – zudem enorm dicht dran an den Vorbildern des literarischen gothic horrors. Während "La sindrome di Stendhal" und "Fatal Frames" recht prominent und einigermaßen gut gepusht und international vertrieben – wenngleich unterschiedlich erfolgreich – für den italienischen Horrorfilm einstanden, der sich mit Argentos/Fulcis "M.D.C."-Plänen und Argentos Liebäugelei für Gaston Leroux' "Le Fantôme de l'Opéra" noch einmal aufzubäumen schien, war eigentlich Avatis "L'arcano incantatore" der große italienische Beitrag zum Genre dieses Jahres... womöglich sogar dieser ganzen Dekade.
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