L'arrivée d'un train à La Ciotat (1896)
Er wird gerne als einer der frühesten Filme angeführt, bisweilen gar als frühester Film überhaupt, obgleich es sich nicht einmal um die früheste Arbeit der Lumières handelt. Auch wird er gerne damit beworben, dass er sein Publikum seinerzeit in helle Panik versetzt habe. Jean-Luc Godard setzte dieser Anekdote, die wohl kaum mehr als ein Marketing-Gag war, in "Les carabiniers" (1963) ein Denkmal. Patrice Leconte reinszenierte 1995 (wie später noch so mancher YouTuber) gleich den ganzen Film. Keine Frage: "L'arrivée d'un train à la Ciotat" ist der legendärste Film unter den frühen Pionierwerken der Filmkunst, der sagenumwobenste... Und wie das mit Legenden und Sagen so ist, gehört dazu auch eine Differenz zur Realität: Denn "L'arrivée d'un train à La Ciotat" ist – wie so oft bei den Lumières – eigentlich drei Filme, die gerne miteinander verwechselt werden und mit falschen Uraufführungs- und Entstehungszeitpunkten belegt werden... was dazu geführt hat, das widersprüchliche Angaben zu der Frage existieren, welche Version denn nun eigentlich welche ist. Als gesichert gilt bloß: Keiner der Filme wurde – entgegen den Angaben der deutschsprachigen Wikipedia-Seite – bereits im Dezember 1895 uraufgeführt. Womöglich wurde 1895 nicht einmal ein einziger von ihnen inszeniert. Die erste Version dürfte am 25. Januar 1896 uraufgeführt und kurz zuvor zu Jahresbeginn gedreht worden sein. Die zweite Version soll ebenfalls 1896 erschienen sein und ähnelt weitgehend der dritten Version, die erst 1897 entstanden und erschienen ist.
Die erste Version geistert in Form höchst unscharfer Standbilder durchs Netz, die kaum mehr erahnen lassen als einen sich nähernden Zug, der sich aus dem Hintergrund in den Vordergrund bewegt, einmal diagonal von oben rechts nach unten links durch die Mise en image. André Crous hat die 32 Bilder aus dem 1896er Magazin "La Science française" in seiner höchst lesenswerten Besprechung der Filme verlinkt, in der er den Film auch vor dem Hintergrund des 1895er Eisenbahnunfalls am Gare Montparnasse betrachtet (welches heute als kurioses Postermotiv recht beliebt ist): https://www.cinemuse.org/reviews-posts/the-arrival-of-a-train-1897 (Ob diese Bilder bloß den Beginn oder den kompletten Film bebildern, ist – mir – nicht bekannt.)
Die zweite Version und die dritte Version werden oftmals widersprüchlich den zwei existierenden Filmen zugeordnet: Vermutlich handelt es sich bei dem Film, der einen neben dem Zug entlanglaufenden Bahnwärter und eine stark männerdominierte Gruppe von Passagieren zeigt, um die zweite Version aus dem Jahr 1896, wohingegen jene Version die letzte Version des Films aus dem Jahr 1897 sein dürfte, die mehr Frauen und Kinder unter den Wartenden am Bahnsteig präsentiert und mit einem Lastenträger beginnt, ehe der Zug einfährt. (Zur "Restaurierung" ist hier mehr zu erfahren: https://www.rtbf.be/culture/musique/pop-rock/detail_le-film-l-arrivee-d-un-train-en-gare-de-la-ciotat-des-freres-lumiere-a-ete-remasterise-marion-jaumotte?id=10430426) Sie ist wohl die schönere Version des Stoffes, wegen des ereignisreicheren Geschehens im Vordergrund, wegen der individuelleren Figuren(gruppen), die alle etwas mehr Profil gewinnen, obgleich sie alle freilich bloß Statist(inn)en sind.
Und sie ist etwa auf der BFI-DVD Early Cinema: Primitives and Pioneers zu bekommen und dürfte heute die bekannteste sein: Fassungseintrag von Cine-Phil
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