Angst essen Seele auf (1974) & Martha (1974)
Mit dem am 5. März 1974 uraufgeführten, relativ günstig produziertem Drama "Angst essen Seele auf", lieferte Rainer Werner Fassbinder einen seiner bis heute populärsten Filme. Das mag angesichts der so spröden wie konventionellen, fast schon TV-artigen Ästhetik und der melodramatischen Aufbereitung verwundern – zumal das gute Anliegen doch recht pädagogisch vermittelt wird: Brigitte Mira spielt – ganz frei nach Douglas Sirks "All That Heaven Allows" (1955) – in dem Film eine etwa 60jährige Putzfrau, die mit El Hedi ben Salem als jüngerem Gastarbeiter aus Marokko zusammenkommt, was freilich zu Widerständen und Abwertungen im Umfeld führt. Die Beziehung, die vermutlich auch heute noch irritieren könnte, musste 1974 besonders angreifbar erscheinen. Indem Fassbinder seinen an den Rand einer Gesellschaft gedrängten Figuren – und insbesondere dem Gastarbeiter, dem Fremden, dessen Äußerung, dass Angst die Seele aufesse, zugleich den Titel abibt – Raum gibt, sich als Menschen (und nicht als der Gastarbeiter, als die Alte, die Putzfrau) zu präsentieren, schafft er Figuren, mit denen sich ein Publikum weit eher zu identifizieren geneigt ist als mit all jenen, die diesem Pärchen – mit welcher Intention auch immer – empfindlich zusetzen. Und so geriet der Film in einer Gesellschaft, die ihre sogenannten Gastarbeiter nur zu bereitwillig wie Dreck behandelte, zu einem ungeahnten Publikumserfolg, der seine spannendsten Momente sicherlich dort aufweist, wo sich die Hauptfiguren einander doch noch fremd bleiben, weil auch sie in sich tragen, was die Gesellschaft insgesamt prägt.
Mit wesentlich mehr Aufwand und Budget, mit bemerkenswerter Ausstattung und einem berühmt-berüchtigten 360°-Schwenk Michael Ballhaus' ließ Fassbinder bereits am 28. Mai 1974 die Cornell-Woolrich-Verfilmung "Martha" folgen, die sich (nun tatsächlich als TV-Film) nun dem populären Genre des Thrillers zuwandte, mit dem man Fassbinder freilich kaum verbindet: Nach dem Sci-Fi-Film "Welt am Draht" (1973), dem Western "Whity" (1971) und den Kriminaldramen "Der amerikanische Soldat" (1970), "Götter der Pest" (1970) und "Liebe - kälter als der Tod" (1969) war es eine weitere Annäherung an den populären Film fernab des Melodrams, dem er vorwiegend verhaftet war. Und "Martha" ist wohl einer mit "Welt am Draht" einer der aufreibendsten Filme Fassbinders, ein unangenehm berührender Mix aus Psychothriller und Drama an der Grenze zum Horrorfilm, der Fassbinder mehr als je zuvor als durchaus auch Hollywood-tauglich ausweisen sollte: Da heiratet Margit Carstensen als Titelfigur den seriösen Helmuth Salomon, den ausgerechnet der nach seiner Rolle als Frauenmörder in "Peeping Tom" (1960) in Verruf geratene Karlheinz Böhm spielt, um sich sodann in einem Ehekäfig gefangen zu sehen, in dem die eher gewaltsamen Zärtlichkeiten und vor allem die psychische Gewalt den Ton angeben. Mit allen Befugnissen eines Ehemannes in den 70er Jahren beginnt Helmuth damit, Martha vom öffentlichen Leben abzukapseln und sie nach seinen Vorstellungen zu erzielen. Und wie in einer verstörenden Horrorstory wird Martha schlussendlich in schier auswegsloser Lage ausgeliefert bleiben: pflegebedürftig, in den Armen ihres auf seine Art pflegenden Gatten...
Beide Filme sind sowohl Bestandteil der alten Rainer Werner Fassbinder 10er-Box von Arthaus (Fassungseintrag von pm.diebelshausen) als auch der neueren Edition Best of Rainer Werner Fassbinder.
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