Die zweite Heimat - Chronik einer Jugend (1992)
1932 geboren, im Hunsrück aufgewachsen; Studium der Germanistik, Publizistik und Theaterwissenschaft in München, ab 1953 erste Filmarbeiten als Kameramann, Regisseur und Assistent in diversen Funktionen. Mit dem Oberhausener Manifest schreibt sich Reitz neben seinen Mitunterzeichnern 1962 in die Filmgeschichte ein; seine ersten Langspielfilme entstehen Mitte/Ende der 60er Jahre und zählen zu den populären Aushängeschildern des Neuen Deutschen Films: "Mahlzeiten" (1967), "Cardillac" (1969), "Das goldene Ding" (1971), "Die Reise nach Wien" (1973), "Stunde Null" (1977), "Der Schneider von Ulm" (1978)... Seine Bekanntschaft mit Alexander Kluge, welcher maßgeblich am Oberhausener Manifest beteiligt gewesen war, führt in den 70er Jahren auch zu Gemeinschaftsarbeiten: beide inszenieren "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod" (1974), den "Biermann-Film" (1982) und wirken an "Deutschland im Herbst" (1978) mit, der Beiträge von Alf Brustellin, Rainer Werner Fassbinder, Bernhard Sinkel und anderen vereint. Während nur Fassbinder und Schlöndorff anschließend in ungebrochener Produktivität als Filmregisseure von Kinofilmen (auch international) aktiv sind, wird es um ihre Koregisseure in den 80er Jahren stiller (was in Brustellins Fall an seinem tödlichen Verkehrsunfall im Jahre 1981 liegt). Kluge und Reitz hingegen gehen relativ neue Wege: Kluge setzt für kurze Zeit die Gemeinschaftsarbeiten fort und passt zugleich die eigenen Filme deren zersplitterter, fragmentarischer, essayistischer Struktur an; "Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" (1985) und "Vermischte Nachrichten" (1986) sinnieren umfangreich über Film- und Fernseh-Bilder und den episodischen Charakter setzt er im Rahmen der dctp-Kulturmagazine seit Ende der 80er Jahre bis heute fort. Auch Reitz wird zum Fernsehen wechseln, dem narrativen Film allerdings nach wie vor treu bleiben. Es entsteht als Produktion des WDR zunächst der zweistündige "Geschichten aus den Hunsrückdörfern" (1981), der als Prolog der späteren Heimat-Reihe anzusehen ist. 1984 flimmert dann seine etwa 15stündige Serie "Heimat" (1984) über die Bildschirme, welche eine Familienchronik auf dem fiktiven Hunsrückdorf Schabbach zwischen den Jahren 1919 und 1982 schildert. Dem großen Erfolg bei Publikum und Kritik ließ Reitz später weitere Heimat-Serien & -Filme folgen: "Die zweite Heimat - Chronik einer Jugend", "Heimat 3 - Chronik einer Zeitenwende" (2004), "Heimat-Fragmente: Die Frauen" (2006) und "Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht" (2013).
In dem rund 60 Stunden umfassenden, in über 30 Jahren entstandenen Hunsrück-Zyklus, welcher sich von den 1840er Jahren bis zur Jahrtausendwende erstreckt, bildet "Die zweite Heimat - Chronik einer Jugend" wohl den ambitioniertesten und persönlichsten, zumindest den längsten und ausführlichsten Teil: 25½ Stunden dauert diese zweite Mini-Serie, die sich dem bereits bekannten Hermann Simon widmet, dessen Aufenthalt in München während der 60er Jahre hier vorwiegend geschildert wird. Auch anhand seiner Freunde und Freundinnen zeichnet Reitz ein schillerndes Bild einer ganzen Dekade und rückt ohne Hast die Entstehung und die Hochzeit der 68er Bewegung ins Bild. Anstelle eines knappen Jahrhunderts widmet sich Reitz einer Dekade, die gewissermaßen auch seine Dekade ist: autobiografische Elemente lassen sich immer wieder in dieser Chronik einer Jugend entdecken, zumal es Rande auch um Jungfilmer im Rahmen eines neuen deutschen Films geht. Das epische, selbst ohne Kenntnis der restlichen Filmreihe zugängliche Zeitporträt, welches ab dem 31. August 1992 sowohl in Venedig als auch in München uraufgeführt worden war, ist in der schönen Die Heimat Trilogie Gesamtedition von Arthaus/Kinowelt mit den zwei übrigen Heimat-Serien, dem Hunsrück-Prolog und den Heimat-Fragmenten auf DVD zu bekommen - lediglich der 2013er Kinofilm-Nachtrag ist nicht enthalten: Fassungseintrag von MäcFly
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