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von ratz

Vor 100 Jahren: Ernst Lubitsch setzt auf Stummfilm-Dialogwitz

Stichwörter: 1910er Deutschland Jubiläum Klassiker Komödie Kräly Liedtke Lubitsch Oswalda Spielfilm Stummfilm

Die Austernprinzessin (1919)

Die Stummfilm-Actrice Ossi Oswalda gehört zu jenen Stars, die mit dem Aufkommen des Tonfilms in Vergessenheit geraten sind – nur wer sich mit den Berliner Anfängen des späteren Star-Regisseurs Ernst Lubitsch beschäftigt, begegnet Oswalda und ihrer mitreißend-extrovertierten Leinwandpräsenz. Die einstündige Komödie „Die Austernprinzessin“, die Lubitsch am 26. Juni 1919 in die deutschen Kinos brachte, ist eine vorzügliche Gelegenheit, sowohl Oswalda als auch das Talent Lubitschs zu bewundern, eine stumme Komödie nicht allein durch Slapstick, sondern vor allem durch verblüffend witzige Zwischentitel aus den üblichen Kobventionen des Genres herauszuheben. Darin zeichnet sich rückblickend natürlich die Vorliebe des Regisseurs für geistreiche Wortgefechte ab, wie sie ihm in seinen Hollywood-Klassikern zu Weltruhm gereichen sollte – man denke nur an die Pointen in „To Be or Not to Be“ (1942, Anniversary-Text) oder „Heaven Can Wait“ (1943, Anniversary-Text).

Doch für die in Deutschland ebenfalls äußerst erfolgreichen Filme Lubitschs zwischen 1916 und 1922 muß ein weiterer, heute quasi vergessener Name genannt werden: Hanns Kräly, der für fast alle Filme jener Jahre und noch bis 1929 mit Lubitsch an den Drehbüchern schrieb. Es läßt sich wohl kaum mehr eruieren, von wem die köstlich trockenen Zwischentitel in „Die Austernprinzessin“ stammen, wer die Ideen zu den ausufernden Choreographien hatte oder ob es nun Lubitsch oder Kräly war, der auf originelle Weise eine Verwechslungskomödie und eine Kapitalismus-Satire miteinander verwob. Somit kann sich das Publikum sowohl an der hintergründig-klugen Verfaßtheit des Drehbuchs als auch am ausgelassenen Spiel der Hauptdarsteller Ossi Oswalda und Harry Liedtke erfreuen.

Indessen sieht sich der Filmfreund wieder einmal mit der Tatsache konfrontiert, daß es die Murnau-Stiftung als Sachwalterin des deutschen Stummfilm-Erbes nicht schafft, Klassiker wie diesen in der Zirkulation zu halten – weder die DVD von „Die Austernprinzessin“ in der SZ-Cinemathek (Fassungseintrag) noch die Ernst Lubitsch Collection (Fassungseintrag) sind derzeit erhältlich. Zum Glück hält das britische Label Eureka! eine vorbildliche Blu-ray-Edition (Fassungseintrag) mit der launigen Musik von Aljoscha Zimmermann und sechs weiteren Lubitsch-Stummfilmen bereit. Die etwas fragmentarisch anmutende OFDb-Kritik von Jimmy Conway wirft soziologische Stichworte in den Ring, die zeigen, wie sehr sich eine Analyse von „Die Austernprinzessin“ jenseits des bloßen Komödiensujets lohnen kann.


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