Suzanne Simonin, la Religieuse de Denis Diderot (1966)
Vor nunmehr 220 Jahren erschien in Frankreich (postum) Denis Diderots Roman "La Religieuse" (1760-1761): eine Abrechnung mit der Kirche und der widernatürlichen Askese, die sich dem Schicksal einer jungen Nonne wider Willen widmete. 170 Jahre später sollte Jacques Rivettes Verfilmung erscheinen, die zwar naturgemäß auf weit weniger Widerstände stieß als die Vorlage des berühmten Aufklärers, aber dennoch einen veritablen Skandal abgeben sollte, der seinerzeit für Furore in Frankreich sorgte.
Schon der polnische Nonnenfilm "Matka Joanna od aniolow" (1961) von Kawalerowicz stieß fünf Jahre zuvor auf die Ablehnung der katholischen Kirche, kam hierzulande erst mit dreijähriger Verspätung heraus, erhielt aber in Frankreich auf dem Cannes Filmfestival den Prix du Jury. Dennoch begleiteten schon Rivettes Vorbereitung seiner Diderot-Verfilmung im Jahr 1965 einige Proteste der katholischen Kirche. Und obwohl Rivette sehr behutsam die sadistische Strenge bzw. die zudringliche Zuneigung der Oberinnen ins Bild setzt und dem Film ein paar Notizen zur Entstehung des Diderot-Romans vorausschickt, wurde der Filme in Frankreich sogleich nach seiner Uraufführung auf dem Cannes Filmfestival am 06. Mai 1966 für über ein Jahr verboten. Godard, dessen Ex-Partnerin Anna Karina hier in der Hauptrolle zu sehen ist, wetterte in "La Chinoise" (1967) entschieden gegen dieses Verbot, das geradezu bizarr anmutet, wenn man sich ins Bewusstsein ruft, dass fünf Jahre darauf ab Ken Russells skandalösem "The Devils" (1971) eine wahre Nunsploitation-Welle einsetzte, die - vornehmlich in Italien, wo Luchino Viscontis Neffe Eriprando bereits 1969 "La monaca di Monza" drehte - Filme hervorbrachte, in denen Nonnen Unzucht trieben, folterten oder gefoltert wurden: Der Einfluss der Kirche, der Rivette 1966 noch zu schaffen machte, ließ in den nächsten Jahren erheblich nach.
Als eine der wenigen reinen Literaturverfilmungen Rivettes - es wären noch die Emily Brontë-Verfilmung "Hurlevent" (1985) und die Balzac-Verfilmung "Ne touchez pas la hache" (2007) zu nennen - bildet "Suzanne Simonin, la Religieuse de Denis Diderot" eher eine Ausnahme in Rivettes Schaffen: nicht bloß wegen der vorgegebenen Dramaturgie, sondern auch wegen der Abwesenheit Rivette-typischer Themenfelder. Es ist allerdings weit stärker als sein Langfilmdebüt ein Frauenfilm: fortan konzentrierte sich Rivette im Großteil seiner Filme vor allem auf die Frauen. Die eingebildeten oder tatsächlichen Verschwörungen, die so oft durch Rivettes Filme geistern, fehlen hier völlig; auch das Theater ist hier ausnahmsweise einmal nicht Bestandteil der Handlung - dafür jedoch wirkt der Film selbst ausgesprochen theatralisch, was sicherlich an der etwas zurückhaltenden Kameraführung, der Steifheit vieler Figuren und den recht sorgsam artikulierten Dialogen liegen dürfte. Ab seinem folgenden Langfilm verlegte sich Rivette schließlich auf das Improvisieren und die Spontaneität. Doch die sehr geregelte Form von "Suzanne Simonin, la Religieuse de Denis Diderot" passt bestens zum Inhalt; und eine hervorragende Besetzung (u. a. mit Liselotte Pulver, Francine Bergé, Michel Delahaye, Jean Martin, Francisco Rabal) sorgt zusätzlich für ein rundum gelungenes Filmerlebnis.
In spärlicher Ausstattung ist der Film für wenig Geld bei Arthaus zu bekommen: Fassungseintrag von andeh
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