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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Pasolinis neuer Tonfall…

Stichwörter: 1960er Citti Colli Davoli Drama Italien Jubiläum Klassiker Komödie Morricone Parabel Pasolini Satire Spielfilm Totò

Uccellacci e uccellini (1966)

Am Anfang war alles noch so einfach: Pier Paolo Pasolini landete mit fast 40 Jahren auf dem Regiestuhl und begann zunächst mit neuartigen Variationen des Neorealismus, die Rosselini näher kamen als De Sica - mit "Accattone" (1961) zunächst, dann mit "Mamma Roma" (1962); ple­be­jisch ausgerichtete Filme über das von Pasolini so bezeichnete Subproletariat. Dem derben, manchmal räudigen Tonfall, in dem immer auch ergreifende & erhabene Momente aufblitzten, blieb Pasolini bis zuletzt treu, steigerte ihn in seiner Trilogie des Lebens (1970-1974) sogar radikal. Dennoch nahm sein filmisches Schaffen ab "La ricotta", seinem Beitrag für den Omnibusfilm "RoGoPaG" (1963) eine überraschende Wendung: Die Satire auf Bibelfilme wurde (weniger von der Kirche selbst, die seinen späteren Bibelfilm "Il Vangelo secondo Matteo" (1964) ausdrücklich lobte, als vielmehr von anderen konservativen Stimmen) als Blasphemie missverstanden - und der Regisseur, der als homosexueller, kommunistischer Christ regelmäßig auf Widerstand stieß, löste einen seiner größten Skandale aus - nachdem schon die vorangegangenen Filme heftige Anfeindungen verursacht hatten - und wurde zu 4 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, in der Berufung dann allerdings freigesprochen. Vielleicht mag die Erfahrung, dass mit radikalen Filmen ernsthafte Debatten ausgelöst werden können, dazu geführt haben, dass Pasolini fortan ausgesprochen häufig zwischen Neorealismus, Parabel, Satire, Groteske, Essay pendelte und bei seinen scharfzüngigen Attacken immer provozierender vorging: "La rabbia" (1963), "Comizi d'amore" (1964) und "Sopralluoghi in Palestina" (1965) nahmen vom Spielfilm radikal Abstand, "Uccellacci e uccellini" (1966), "La terra vista dalla luna" (1967) und "Porcile" (1969) kamen als parabelhafte, überdrehte Farcen daher, "Edipo re" (1967), "Medea" (1969) und der Essayfilm "Appunti per un'Orestiade africana" (1975) als sperrige Mythenfilme mit Gegenwartsbezug, "Teorema" als eigenwillige, skandalöse Parabel, die Trilogie des Lebens als enthemmte, derbe, orgiastische Feier des Sexus - und "Salò" (1975), Pasolinis Skandalfilm schlechthin, als hochgradig unvergnügliche, kalte & starre de Sade-Verfilmung, die vor allem eine Abrechnung mit dem Faschismus, mit der Macht insgesamt und mit der Kommerzialisierung & Amerikanisierung des gegenwärtigen Italiens darstellte. Vergleichsweise konventionelle (wenngleich durchaus originelle) Spielfilme wie "Accattone", "Mamma Roma" und "Il Vangelo secondo Matteo" drehte Pasolini nach seiner ersten Schaffensphase nicht mehr - und "Uccellacci e uccellini" kann daher als richtungsweisender vierter Spielfilm Pasolinis angesehen werden.

"Uccellacci e uccellini", am 04. Mai 1966 uraufgeführt, treibt die Extravaganzen von "La ricotta" voran: Mit einem gesungenen Vorspann, der die Waghalsigkeit des restlichen Films bereits ankündigt, beginnt der Streifen, der den großen italienischen Komiker Totò und Pasolinis Lieblingsmuse Ninetto Davoli (der noch in Ferraras Biopic "Pasolini" (2014) eine Rolle spielt) auf eine ziellose Reise schickt, an der alsbald auch ein sprechender Rabe aus dem Reich der Ideologie teilnimmt: Sowohl in dessen Erzählungen, als auch auf der Reise selbst geht es um die Schwierigkeiten der Umsetzung christlicher und kommunistischer Ideale - am Ende wird das geschwätzige, belehrende, moralisierende Federvieh von den Wanderern aus dem Land des Hungers und der Dummheit verspeist; ganz so, wie auch ein Falke in der Erzählung vom heiligen Franziskus einen Spatzen verspeist, nachdem zwei Mönche gerade erst versucht hatten, den Vögeln den Frieden zu predigen. Der Film widmet sich mal auf derbe Weise der Defäkation, in Slapstick-Manier oder auf respektlos überzeichnete Weise den hehren Idealen, auf dokumentarische Weise dem Tagesgeschehen der damaligen Gegenwart - und macht auch vor einer gehörigen Portion scharfer Selbstironie keinen Halt. Dass Pasolini in diesem heiteren Krisenfilm davon erzählt, dass moralisierende Botschaften stets erforderlich sind, gleichwohl sie ihre Ziele allenfalls ansatzweise erreichen können, ist sicherlich auf den "La ricotta"-Skandal zurückzuführen, mit dem auch inhaltliche wie formale Radikalität Eingang in Pasolinis Werk fanden: Man kann sich Gehör verschaffen, wenn man bloß genug lärmt, wird aber dennoch nicht unbedingt verstanden. Es ist ein Film, der Fragen über die Zukunft von Kommunismus, Christentum und Subproletariat stellt (und bereits auf die Dritte Welt blickt, die später noch bedeutsam für Pasolinis Filmschaffen werden sollte), aber keine handfesten Antworten liefert: "Wohin geht die Menschheit?" "Was weiß ich..." (So formuliert es ein Zitat aus einem Mao-Interview zu Beginn des Films.) Pasolinis Freund & langjähriger Mitarbeiter Franco Citti stand ihm hier (neben zwei, drei weiteren Mitarbeitern) als Regieassistent zur Seite, der große Tonino Delli Colli führte hier die Kamera und die Filmmusik stammt von Ennio Morricone: Cineasten werden also reichlich bedient...
Für kleines Geld ist Pasolinis denkwürdiger Klassiker in der Zweitausendeins-Edition zu bekommen: Fassungseintrag von Digby. In der Reihe Masters of Cinema liegt bei Eureka allerdings auch eine hübschere, mit einem Booklet ausgestattete UK-DVD vor: Fassungseintrag von Gergio


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