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von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: Umstrittener Klassiker über den Holocaust von Andrzej Wajda

Stichwörter: 1990er Biographie Drama Historienfilm Holland Holocaust Jubiläum Kilar Klassiker Korczak Krieg Müller Polen Spielfilm Wajda

Korczak (1990)

Andrzej Wajda ist eines der großen Aushängeschilder des polnischen Kinos. Als Assistent Aleksander Fords hatte er Anfang/Mitte der 50er Jahre selbst bei einem Großen des polnischen Kinos sein Handwerk erlernen können, ehe er dann - auch dank Fords Unterstützung - eine eigene Karriere als Regisseur beginnen konnte. Wajdas Karriere beginnt mit einer Kriegstrilogie (mit "Pokolenie" (1955), "Kanal" (1957) und "Popiól i diament" (1958), der zu den kanonisierten Klassikern der Filmgeschichte zählt) und blieb historischen Stoffen, die sich vor allem der Geschichte Polens vom Zweiten Weltkrieg bis hin zur III. Rzeczpospolita widmen, treu. Teilweise autobiographisch motiviert - etwa ein Dokumentarfilm ("Las katynski" (1990)) und ein Spielfilm ("Katyn" (2007)) über die Massaker von Katyn, in deren Zusammenhang Wajdas Vater einst umkam -, vielfach nach Vorlagen Jerzy Andrzejewskis entstanden, widmen sich Wajdas Filme regelmäßig der Sinnlosigkeit von Gewalt & Machtausübung, um humanistische Werte zu vertreten. Während Wajdas frühen Werke - gemeinsam mit Arbeiten Andrzej Munks, Jerzy Kawalerowiczs, Wojciech Has' oder Jerzy Stefan Stawi?skis - die Polnische Schule begründeten, welche sich mit tragischen, pessimistischen Handlungen dem früheren Heroenkult im polnischen Kino widersetzte und beinahe so etwas wie eine Neue Welle lostrat, sah er sich ab Mitte der 70er Jahre immer stärker den Eingriffen staatlicher Zensur ausgesetzt; nicht zuletzt als Reaktion auf diese Eingriffe, vor allem aber als Reaktion auf Wojciech Jaruzelskis Rückgriff auf das Kriegsrecht ab 1981 (um die Solidarno?? zu zerschlagen, welcher sich Wajda in "Czlowiek z zelaza" (1981) widmete), verließ Wajda - wie viele seiner Kolleg(inn)en - Polen für einige Zeit, um im Ausland unter anderem "Danton" (1982), "Eine Liebe in Deutschland" (1983) und "Les possédés" (1988) zu drehen (während sein Klassiker "Popiól i diament" im Heimatland für längere Zeit mit einem Verbot belegt worden ist).

"Korczak" war 1990 (und nach "Kronika wypadków mi?osnych" (1984)) Wajdas Rückkehr in das polnische Kino - und in gewisser Weise eine Rückkehr zu seinen Anfängen: sein Lehrmeister Ford hatte 15 Jahre zuvor mit "Sie sind frei, Dr. Korczak" (1975) bereits eine Biographie des berühmten polnischen Arztes Janusz Korczak abgeliefert und damit zugleich seinen letzten Film gedreht. Wajda setzt seine Version der letzten Tage des Arztes und Pädagogen, der die Kinder eines Waisenhauses in der Gewissheit des drohenden Todes trotz vorhandener Fluchtmöglichkeiten in das Lager Treblinka begleitete, um dort zu sterben, nach einem Drehbuch von Agnieszka Holland als anrührendes, bei aller Schrecklichkeit durchaus optimistisches Beispiel für die Bedeutung humanistischer Werte in düsteren Zeiten um - in von Robby Müller schön gestalteten Einstellungen, die gerade im metaphorischen Schluss zur Musik Wojciech Kilars eine beachtliche Eindringlichkeit erzeugen. Nicht zuletzt dieses Ende sorgte für teilweise harsche Kritik (unter anderem von Claude Lanzmann), die durch den Einsatz christlicher Symbolik und einen vermeintlichen Antisemitismus (den man Wajda teilweise schon seit Mitte der 70er Jahre anlastete) zusätzlich angestachelt worden war. Auch mag man sich fragen, inwieweit ein Film, der auch ein Film über die Macht Erwachsener über Kinder ist, geeignet ist, um das Thema des Holocausts zu behandeln. Gleichzeitig fand das Werk aber auch seine Befürworter: nicht nur die handwerkliche Qualität, die Intensität der emotionalen Wirkung und die dokumentarische Qualität dieser Filmbiographie wurden häufig herausgestellt, auch die Schlusssequenz, die in Frankreich als Verharmlosung aufgefasst worden war, wurde etwa in Israel als Verweis auf die spätere Staatsgründung Israels begrüßt. Und für Steven Spielberg, der mit "Schindler's List" (1993) kurz darauf ähnlichen Kontroversen ausgesetzt war, war Wajdas "Korczak" einer der allerbesten Holocaust-Filme aus Europa. Zumindest ist "Korczak" - der am 06. Mai sein 25jähriges Jubiläum feiert - ein Film, der zu den Titeln gehört, um die man nicht herumkommt, wenn man sich mit dem Holocaust im Film und der Debatte darüber beschäftigen will.
Leider ist der Film hierzulande nur in seiner deutschen Synchronfassung auf DVD erhältlich: Fassungseintrag von Dr. Phibes


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