L'enfance nue (1968)
16 Jahre, 16 Kurzfilme: "Isabelle aux Dombes" entsteht 1951, 15 weitere Kurzfilme folgen bis "La Camargue" (1966). Pialat verfügt, gleichwohl er in seiner Frühphase überwiegend Dokumentarfilme dreht, bereits über jede Menge inszenatorisches Geschick, als er sich an seinen ersten Langfilm macht. Der 43-jährige Regisseur hat zu diesem Zeitpunkt quasi bereits einen eigenen Stil gefunden: Nüchtern, kantig, semi-dokumentarisch wirkt der mit vielen Laien realisierte und am 27. August 1968 uraufgeführte "L'enfance nue", der sich einem Problemkind widmet und dabei gänzlich auf jene vereinnahmende Sympathie verzichtet, die Jahre zuvor ein Truffaut seinem jungen Antoine Doinel oder kurz darauf seinem verwilderten Wolfsjungen angedeihen ließ. (Dabei zählte Truffaut – neben Claude Berri und anderen – zu den Produzenten von Pialats Langfilm-Debüt.) Eher schon schwingt eine rauhe Wut mit, die zwei Dekaden später Jean-Claude Brisseaus Jugend-Drama "De bruit et de fureur" (1988) durchziehen sollte, das dramaturgisch und stilistisch allerdings eigene Wege geht. Pialats Langfilm-Debüt bleibt seltsam auf Distanz, gleichwohl zärtliche Momente durchaus eingefangen werden: François, die Hauptfigur, ist nicht einfach bloß ein verzogener Rabauke (wenngleich auch Opfer eines fehlenden, festen Elternhauses), sondern durchaus auch anhänglich und liebevoll. Aber der Kamerablick bleibt oftmals starr, genehmigt sich nur gelegentlich unsaubere Schwenks und Fahrten, derweil die Montage auf eine Auflösung in konventionelle Schuss-Gegenschuss-Sequenzen weitestgehend verzichtet. Und nur sehr selten erhält der Junge Großaufnahmen: Die Darbietung ist nüchtern-sachlich, arbeitet nicht an einer Intensivierung der Emotionen. Ein bisschen wie später das belgische Bürderpaar Dardenne blickt Pialat vorbehaltlos und wertungsfrei auf den Weg seiner Hauptfigur, legt aber die Aufmerksamkeit weit stärker auf die schmerzlichen Momente: Im Titel deutet sich das bereits an, denn die "nackte Kindheit" ist vor allem eine ungeschützte, bloßgestellte, preisgegebene Kindheit.
Worum es eigentlich geht und weshalb Pialats Langfilm-Erstling so beeindruckend ist, verrät Bretzelburger in seinem Review.
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