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von ratz

Vor 50 Jahren: Ein Indie-Klassiker von John Cassavetes

Stichwörter: 1960er Cassavetes Drama Jubiläum Klassiker Rowland Spielfilm USA

Faces (1968)

Obwohl er bis heute meist im Schatten bekannterer Persönlichkeiten steht, gehört der Regisseur und Schauspieler John Cassavetes zu den Schlüsselfiguren der amerikanischen, ja der westlichen Filmgeschichte. Als Schauspieler erfolgreich, wandte er sich dem unabhängigen Schreiben und Drehen von Filmen zu, als dies in der von den großen Studios dominierten Industrie noch ein unkalkulierbares Risiko war. Doch Cassavetes‘ Regie-Erstling „Shadows“ (1959) erregte weltweit Aufmerksamkeit und weckte Erwartungen, die er erst wieder mit „Faces“ erfüllen konnte, der im März 1968 Premiere hatte, mit Oscarnominierungen bedacht wurde und heute als Klassiker des Low-Budget-Indies gilt.

Mit den damals üblichen Hollywoodfilmen hat „Faces“ fast nichts gemein, es gibt keine Stars, keine teuren Kulissen oder epische Landschaften, keine eleganten Kamerafahrten, keine Plottwists, nicht einmal Filmmusik. Alles, was „Faces“ braucht, um für gute zwei Stunden zu fesseln, sind eine 16-Millimeter-Kamera und eine Handvoll exzellenter Schauspieler, die eine schonungslose, jedoch nie feindselige Offenlegung der Befindlichkeiten eines mittelständischen Ehepaares vornehmen. Cassavetes, der mit seinem Drehbuch sein eigenes Milieu porträtiert, verfolgt dabei einen Ansatz der Schauspielerführung, die er aus langjährigen Theaterworkshops übernimmt: nicht so sehr der pointierte Dialog und die kunstvolle Zuspitzung einer Szene interessiert ihn, sondern die allmähliche Entwicklung von Situationen, das kaum wahrnehmbare Umschlagen von Stimmungen, die verborgenen Enttäuschungen und Verletzungen, die sich oft hinter vordergründig lärmender Ausgelassenheit verbergen. „Faces“ besteht in seiner gesamten Laufzeit nur aus etwa vier oder fünf Situationen, in denen eine überschaubare Anzahl von Charakteren die notwendige Zeit hat, mit (nicht selten improvisierten) Dialogen, Blicken und Gesten die Vielschichtigkeit menschlicher (Fehl-)Kommunikation darzustellen. Die Kamera bleibt – dem Filmtitel entsprechend – dicht an den Gesichtern und nimmt jede Regung wahr, wobei die Grobkörnigkeit des Schwarzweiß-Filmmaterials zugleich für eine graphische Abstraktion sorgt und den Furchen der Männer oder dem Makeup der Frauen eine über sich hinausweisende visuelle Qualität verleiht. Somit entsteht von technischen Zwängen befreites Schauspielerkino im eigentlichen Sinne des Wortes, und genau das war es, was Cassavetes erreichen wollte und in weiteren Regiearbeiten auch noch erreichen sollte.

Der Einfluß von „Faces“ (und anderen Filmen Cassavetess‘) auf das unabhängige, von finanziellen Interessen freie und um künstlerischen Ausdruck bemühte Kino kann gar nicht unterschätzt werden, und löblicherweise sind die wichtigsten Filme von Cassavetes und damit auch „Faces“ bei Concorde auf Blu-ray (Fassungseintrag) und DVD (Fassungseintrag) erhältlich. Für die intensivere Beschäftigung lohnen sich die Extras der britischen (Fassungseintrag) oder der US-Ausgabe (Fassungseintrag), ebenfalls lesenswert ist die film-Dienst-Kritik von Jens Hinrichsen.


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