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von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: Raoul Ruiz’ gewagtes Proust-Projekt

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Le temps retrouvé (1999)

"Wenn die besten Bücher Licht emittieren könnten, würde im fleckigen Halbdunkel der Bibliothek ein goldener Ziegel leuchten, die 'Recherche'." Michael Maars Urteil zierte im Jahr 2000 den Schuber, der drei dicke Bände mit allen Teilen von Marcel Prousts Romanzyklus "À la recherche du temps perdu" (1913-1927) enthielt. Da war "À la recherche du temps perdu" bereits ein Jahrhundertwerk von seltener Größe, in seiner Radikalität vielleicht nur mit James Joyces "Ulysses" (1920) oder "Finnegans Wake" (1939) vergleichbar. Was Proust im Grunde schon 1895 mit dem Beginn des erst 1952 postum veröffentlichten "Jean Santeuil" (1900/1952) begonnen hatte, ist die umfangreiche, mehrere tausend Seite starke Schilderung (s)eines (fiktionalisierten) Lebens, die Umstände aus der Zeit vor der Geburt des Erzählers berücksichtigt und von dessen Kindheit bis in seine letzte Lebensphase führt. Es ist eine Schilderung der Salons und Snobs mit allen Gepflogenheiten und Ansichten über die Dreyfus-Affäre oder den Krieg; es ist eine Geschichte auch der zahlreichen Neuerungen in der Moderne, über die der Autor breit sinniert: so auch über die Künste, Künstler und Diven. Immer wieder wird mit einem Staunen von ersten Begegnungen und Erlebnissen (oder den Vorstellungen von ihnen im Vorfeld) berichtet, derweil sich der Blick im Rückblick wandelt. Die Dramaturgie ist zudem kaum zu fassen, bleiben doch in der immensen Fülle weite Teile eher abstrakten Überlegungen oder gesellschaftlichen Diskursen vorbehalten, während die Erinnerung des Erzählers gerade in den späteren Bänden in der Zeit zurückführt. Nachdem Volker Schlöndorff mit "Un amour de Swan" (1984) bereits eine Teilverfilmung vorgelegt hatte, in der Jeremy Irons als jener Swann zu sehen war, der noch vor der Geburt des Erzählers in voller Größe stand, in der Hochzeit des Erzählers im Sterben lag und in der letzten Phase des Erzählers bereits von der Gesellschaft vergessen war, wagte sich der Chilene Raoul Ruiz an eine Verfilmung. Dabei war Schlöndorffs Verfilmung als vereinfachende Liebesgeschichte weniger gut aufgenommen worden, obgleich der Filmemacher auf Literaturverfilmungen spezialisiert war; andere Regielegenden wie Luchino Visconti oder Joseph Losey haben gar nicht erst mit den Dreharbeiten eigener Vorhaben einer Proust-Verfilmung begonnen. Und Ruiz nahm sich dann auch noch den kompliziertesten, letzten Band von "À la recherche du temps perdu" vor: Zweifellos eine der gewagtesten Literaturverfilmung nicht nur des 20. Jahrhunderts. Mit Catherine Deneuve, Emmanuelle Béart, Vincent Perez, John Malkovich (als Baron de Charlus), Pascal Greggory, Marie-France Pisier, Chiara Mastroianni, Arielle Dombasle, Edith Scob, Elsa Zylberstein, Christian Vadim, Dominique Labourier, Melvil Poupaud, Alain Robbe-Grillet, Ingrid Caven und vielen anderen namhaften Stars erschuf der für sonderbare Perspektiven, surreale Verfremdungen und gewagte Dramaturgien bekannte Regisseur einen schillernden, 2½-, fast dreistündigen Bilderbogen, der mit der Vortitelsequenz im Combray beginnt und während des Vorspanns Flusswasser wie die Zeit dahinrinnen lässt. Mit der wie so oft bei Ruiz bedeutungsschweren Musik, perspektivischen Verzerrungen, räumlichen Verschiebungen, erstarrten Statisten, Spiegelungen, wässrigen Auflösungen der Form, irritierend betonten Ausleuchtungen und Voice-Over-Einflüssen führt der Film dann von einem bereits siechen Autor, der seine Zeilen diktiert, durch die Zeit(en), derweil sich Errungenschaften der Moderne wie das Telefon nicht nur für Kenner(innen) der literarischen Vorlage immer wieder markant ins Zentrum der Aufmerksamkeit schieben. Fotoplatten durch die Lupe betrachtet markieren früh in Film den ersten Übergang des gereiften Autors in frühere Episoden seines Lebens, deren Ton schleichend seine Ausführungen zu überlagern beginnt. Manchmal führt die Montage aber auch sprunghaft in unwillkürlichen Erinnerungen von triggernden Auslösern zu erinnerten Momenten. Später wird zudem auch innerhalb von Einstellungen durch die Zeiten geswitcht; im Grunde ist Ruiz' "Le temps retrouvé" schon eine Art Vorläufer fürAleksandr Sokurovs "Russkiy kovcheg" (2002), der wenig später ähnlich ambitioniert Geschichte und Vergänglichkeit in einem (in einer einzelnen Einstellung durchstreiften) musealen Raum in Szene setzte. Auch wenn Ruiz' meisterliche Literaturverfilmung für das Kino nicht erbrachte, was Proust für die Literatur erbrachte, so ist der am 16. Mai 1999 in Cannes uraufgeführte "Le temps retrouvé" der ideale Titel für diesen Bonusbeitrag zum Welttag des Buches.
Die DVD von Black Hill / Cine Plus ist vergriffen, aber immer wieder für kleines Geld zu erhalten – und liefert nicht weniger als eine der amtitioniertesten Literaturverfilmungen überhaupt: Fassungseintrag von Karm


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