Persona (1966)
Nur wenigen Autorenfilmern war es so wie dem schwedischen Regisseur Ingmar Bergman vergönnt, mit der finanziellen Unterstützung der nationalen Filmindustrie ein Höchstmaß an künstlerischer Freiheit zu genießen. So konnte Bergman in 20 Jahren über 30 Filme drehen, sich an verschiedenen Genres erproben und dabei stets seine persönlichen künstlerischen Themen und Motive einarbeiten und schärfen. Dergestalt erreichte der Regisseur einen Grad an inhaltlicher und formaler Kunstfertigkeit, die sowohl intellektuellen Ansprüchen gerecht wurde als auch den Zuspruch des breiten Publikums fand. Mit 48 Jahren hatte Bergman seine Reputation als international führender Arthouse-Filmemacher längst zementiert, und doch gelang es ihm, mit „Persona“, der am 18. Oktober 1966 in Stockholm Premiere feierte, seiner Filmsprache eine neue Radikalität zu verleihen.
Im Wesentlichen ein Zwei-Personen-Stück, handelt “Persona“ von zwei Frauen, einer psychisch versehrten Schauspielerin (Liv Ullmann) und einer Krankenschwester (Bibi Andersson), die in der Abgeschiedenheit eines Sommerhauses eine ungewöhnliche Beziehung entwickeln: während die Schauspielerin schweigt, redet die Krankenschwester unablässig: von ihren Wünschen, ihren Ängsten, ihrem Begehren. Doch als sie sich von der Schauspielerin ausgenutzt fühlt, manifestieren sich zwischen den Frauen Aggressionen, die auch zu physischer Gewalt führen. Dieser Handlungskern ist jedoch in ein äußerst komplexes Filmkunstwerk eingebettet, das von der ersten Minute an klarmacht, daß Bergman nichts ferner liegt als ein theatralischer Monologfilm. Vielmehr wird die gesamte Palette filmischer Kunstgriffe genutzt: von der salvenartigen Bildattacke zu Beginn über das Wiederholen einer gesamten Szene aus einer anderen Perspektive bis zum Durchbrechen der vierten Wand ruft Bergman immer wieder die Poetizität seines vielschichtigen Psychogramms ins Bewußtsein des Zuschauers. Die berückend schönen Gesichts-Nahaufnahmen von Kameramann Sven Nykvist erinnern in ihrer Konsequenz und Kunstfertigkeit an Dreyers „La passion de Jeanne d’Arc“ (1928), die avantgardistisch-atonale Musik von Lars Johan Werle unterstreicht den experimentellen Filmcharakter. Da nicht einmal mit Sicherheit anzunehmen ist, ob die Konflikte zwischen den beiden Frauen wirklich stattfinden oder nur in der Einbildung der Schauspielerin, darf „Persona“ durchaus als Vorfahr des vor allem seit den 90er Jahren beliebten „Mindfuck“-Genres gelten („Mulholland Drive“ oder „Fight Club“), in dem unzuverlässige Erzähler gern dem Zuschauer den narrativen Boden unter den Füßen wegziehen.
Wie die meisten von Bergmans Filmen ist auch „Persona“ seit langem bei uns auf DVD (Fassungseintrag von jtip) und seit 2014 auch als Blu-ray (Fassungseintrag von lottner215) von Arthaus/Kinowelt erhältlich. Weil „Persona“ wie ein Kaleidoskop die thematischen und visuellen Motive je nach Verfaßtheit des Betrachters immer wieder anders miteinander korrespondieren läßt, sollte auch dieser Review als Momentaufnahme gelesen werden.
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