A Woman of Paris (1923)
Ein Künstler empfängt hohen Besuch in seiner nicht ganz so stattlichen Unterkunft. Als er zum Kaffee einer Serviette aushändigt, stellt er – als sein Gast selbige entfaltet – mit Erschrecken fest, dass ein riesiges Loch selbige verunstaltet. Doch der Gast, der sich die Serviette über seinen Schoß legt, registriert gar, dass sein Knie durch das enorme Serviettenloch ragt, da er zufälligerweise seine Untertasse genau dort platziert.
Man sieht an solchen Szenen, dass sich Charles Chaplin in seinem am 26. September 1923 uraufgeführten Ausflug ins nicht-komödiantische Feld weder ganz von seinem Humor und erst recht nicht von seinem sozialen, humanistischen Anliegen getrennt hatte. Aber zweifelsohne ist sein erster Film für das von Douglas Fairbanks, Mary Pickford und Chaplin selbst gegründete United Artists der Chaplin-Film, der das nahezu immer schon gegenwärtige Tragische bei ihm am ausgiebigsten ins Zentrum setzt. Handwerklich und inszenatorisch sind die großen Ambitionen für solch ein mit dem eigenen Image weitgehend brechendes Projekt unübersehbar. Viel Liebes steckt im Detail: in der Ausstattung des Milieus der gehobenen Pariser Bourgeoisie, in der Mise-en-image und der Montage lässt der Film große Kunstfertigkeit erkennen. Adolphe Menjou entfaltet sein Charisma wie eh und je, Chaplins Star Edna Purviance ist auch im ernsten Film bestens aufgehoben und Carl Miller eine überzeugend tragische Figur, die sich nirgens zu sehr in den Vordergrund spielt und auch bei Verzweiflungstaten im besten Sinne zurückhaltend agiert. Die Geschichte einer mehr oder weniger am Willen der Eltern sowie einem Unglücksfall zunächst scheiternden Beziehung, die ein Jahr später in Paris neu entflammt, wo die Frau längst als betuchte Mätresse eines reichen, vergebenen Liebhabers ihr Leben lebt und der Mann als mäßig erfolgreicher Künstler seine Existenz fristet, um dann erneut zu scheitern, gerade weil der vorbelastete Mann diesmal ein Scheitern weiträumig zu umfahren gedenkt, wirkt in Teilen etwas beliebig, auch wenn anfängliche Konflikte am Ende geschlichtet werden können, sich die Botschaft, dass materieller Luxus und Prestige nicht automatisch die wahre Erfüllung verheißen, bis zuletzt konsequent durchzieht und das Ende (trotz aller Tragik) ein typisches Chaplin-Ende ist.
Den Kassenflop hat "A Woman of Paris" ganz sicher nicht verdient und die Kritikerstimmen seinerzeit sind nicht grundlos überwiegend überschwänglich ausgefallen: ein Jammer also für viele Generationen, dass der Film bald nach seinen Kinovorführungen bis 1976 nicht mehr zu sehen war. Überzeugen kann man sich von den Qualitäten mit der 2010 bei Arthaus veröffentlichten DVD, die längst vergriffen, aber gebraucht immer wieder günstig zu bekommen ist: Fassungseintrag von Freddy J. Meyers
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