2 ou 3 choses que je sais d'elle (1967)
Kaum ein Regisseur (nicht bloß der Nouvelle Vague) hatte sich in so kurzer Zeit so rasch weiterentwickelt wie Godard: Schon seine Spielfilme zwischen 1960 und 1964 deckten eine ganze Bandbreite ab, "Pierrot le fou" (1965) war dann eine entscheidende Markierung im modernen Kino insgesamt, wurde die Handlung doch von Zitaten und (wichtiger noch!) von ihrer Reflexion auf einer Metaebene überlagert; in "Masculin, féminin" (1966) und "Made in U.S.A." (1966) reizte er dann die Grenzen des Erzählkinos noch weiter aus... und im Jahr 1967 – einem äußerst fruchtbaren Jahr für Godard! – bricht er dann geradezu mit dem Spielfilm. "2 ou 3 choses que je sais d'elle" ist der erste von drei Langfilmen, die Godard neben zwei Episodenfilm-Beiträgen in diesem Jahr dreht: Es folgten "La chinoise" (1967), "Week End" (1967) und Episoden für die Omnibusfilme "Le plus vieux métier du monde" (1967) und "Loin du Vietnam" (1967). Keiner dieser Filme kommt mehr ohne einen mehr oder weniger expliziten, politischen Diskurs, ohne agitatorische Impulse, ohne brechtsche Verfremdung aus, wohinter die Handlung mehr und mehr zurücktritt. Von den Langfilmen ist es zweifelsohne "2 ou 3 choses que je sais d'elle", welcher eine Handlung im gewöhnlichen Sinn am radikalsten zurückweist: bloß 24 Stunden geben die Dramaturgie vor, in der sich alles oder nichts ereignet, in der sich Bruchstückhaftes in scheinbar willkürlicher Reihung ereignet. Was schon in "Une femme mariée" (1964) vage angelegt war, wird hier gehörig radikalisiert. Trotz episodenhaft vorhandener Handlungsstränge, die sich hier und auch in "La chinoise" & "Week End" noch entdecken lassen, überwiegt das Essayistische, Dialektische, Agitatorische bei weitem; 1968 lassen sich dann überhaupt keine Spielfilme mehr bei Godard entdecken, sondern bloß noch Dokumentar-, Essay- und Agitationsfilme. Es ist auch das Jahr, in welchem er einen Produzenten vor Publikum ohrfeigt und sich fortan aus den Kinos zurückzieht – mit Arbeiten, die nur wenige zu Gesicht bekamen, die weder regulär in die Kinos, noch in die TV-Sender gelangten...
Über den am 17. März 1967 uraufgeführten Film sagte Godard später, er sei eine Art soziologischer Essay in Romanform – und zwar mit Musiknoten geschrieben... Das ist schwammig und auch ein bisschen protzig, macht aber über die Verbindung des Disparaten aufmerksam, die fortan immer deutlicher in sein Schaffen eindringen sollte. Der Film ist ein Film über eine Stadt im Wandel, über eine Gesellschaft im Wandel, über Personen im Wandel, über eine Inszenierung im Wandel: ein Film über die Neustrukturierung der Stadt Paris unter Paul Delouvrier, ein Film über die Entwicklung einer spätkapitalistischen Gesellschaft vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges, ein Film über die wandelbare Identität einer Frau, einer Ehe-, Hausfrau, Mutter und Prostituierten, ein Film über die Kluft zwischen Darsteller(in) und Rolle, zwischen Narration und Reflexion, zwischen Dialog und Kommentar... Wie in "Anticipation, ou l'amour en l'an 2000", der Episode für "Le plus vieux métier du monde", und vielen vorangegangenen Filmen kehrt Godard zum Thema der Prostitution zurück, gab doch ein Bericht, nach welchem immer mehr Hausfrauen als Gelegenheitsprostituierte ihre Kasse aufbesserten, die Idee zu diesem Film. Es ist ein bedeutendes Element in diesem Film, aber nicht unbedingt das zentrale. Es geht vielmehr um die Möglichkeiten des Beschreibens von Wirklichkeit; ohne dabei Erklärungen der beschriebenen Wirklichkeit zu liefern: vielmehr wird das Beschreiben selbst hinterfragt – einhergehend mit einer Aufforderung, eigene Konstrukte von Wirklichkeit zu bilden.
Ein reichhaltig ausgestattete DVD liegt bei Criterion vor (Fassungseintrag von savethegreenplanet); hierzulande hat Pierrot Le Fou / Al!ve eine etwas spärlicher ausgestattete, aber wesentlich günstigere DVD veröffentlicht (welche freilich auch über die dt. Synchro verfügt): Fassungseintrag von Rubber Johnny
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