Träume auf Zelluloid – das war einmal. Inzwischen sind quasi alle Bereiche der weltweiten Film- und TV-Produktion vom analogen, physischen Trägermaterial auf die rein digitale Abspeicherung von Bildinformationen umgestellt. 1987 kam der erste komplett digital realisierte Film ins Kino („Giulia e Giulia“) – ein Thrillerdrama, dem seine technische Neuartigkeit nicht anzumerken ist und das auch analog hätte produziert werden können. Es sollte dem britischen Arthouse-Filmemacher Peter Greenaway vorbehalten bleiben, vier Jahre später das neue Medium in allen seinen Möglichkeiten auszuschöpfen und zur Premiere am 30. August 1991 mit „Prosperos Bücher“ eine außergewöhnliche Shakespeare-Adaption vorzulegen.
Außergewöhnlich deshalb, da Greenaway darauf verzichtet, Shakespeares letztes Stück „Der Sturm“ konventionell von der Bühne für den Film zu adaptieren, sondern sich den Stoff ganz zueigen macht und ihn mit seiner persönlichen visuellen Ästhetik komplett überformt. Natürlich stehen noch, ganz traditionell, Darsteller vor der Kamera von Sacha Vierny, der ihren sorgfältig choreografierten Prozessionen durch beeindruckende Kulissen in langen, fließenden Tracking Shots folgt. Doch Regisseur Greenaway nutzt das neue digitale Medium (in diesem Fall die hochauflösende japanische Hi-Vision-Technologie), um das Bildmaterial mittels des – inzwischen technisch freilich obsoleten – Bildbearbeitungstools „Quantel Paintbox“ zu manipulieren. Greenaway überlagert das ursprüngliche Filmbild gleichsam mit immer wieder neuen visuellen Schichten, die miteinander korrespondieren und einander palimpsestartig und angereichert mit Kalligraphien und Animationen ergänzen. Doch der Universalkünstler Greenaway beläßt es nicht bei der visuellen Sinnenfreudigkeit: Statt den Stücktext den verschiedenen Darstellern zu überlassen, ist es Hauptdarsteller und Shakespeare-Grandseigneur John Gielgud, der sämtliche Rollen spricht und dabei die Stimmen der zugleich sprechenden Schauspieler übertönt. Auch hier kommt es zur vielfältigsten Gleichzeitigkeit von Stimmen, Geräuschen und schließlich der pulsierenden Musik von Michael Nyman (übrigens dessen letzte Arbeit für Greenaway), die den anspruchsvollen Shakespeare-Text manchmal in den Hintergrund rücken und zum melodischen Wortgeräusch werden lassen.
Das Ergebnis ist ein vielschichtiges, opernhaftes Gesamtkunstwerk, dessen digitale visuelle Innovationen für Greenaways zukünftigen Filmstil bis heute wegweisend bleiben sollten – z.B. läßt sich sein „Goltzius and the Pelican Company“ (2012) in mancher Hinsicht als Variation von „Prospero’s Books“ begreifen. Ausführlicher geht dieser Review auf den Film und seine überbordende Bedeutungsfülle ein. Erst seit 2013 ist eine deutsche DVD erhältlich (Fassungseintrag von PatsyStone), eine Blu-ray-Auswertung gab es immerhin schon in Japan und darf daher zumindest für den europäischen Markt in nicht allzu ferner Zukunft erwartet werden.
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