It's Alive (1974) & Devil Times Five (1974)
1974 bröckelten wohl die allerletzten Tabus im Horrorfilmsektor: Der Mensch als konsumierbare Ware, als Fraß, als Vorratslager, als verarbeitbare Rohmasse, kroch seit Ende der 60er Jahre immer deutlicher in die Bilder des populären Films, sowohl unter Einfluss einer Aufarbeitung der Shoa als auch unter Einfluss der Gräuel des Vietnamkrieges, flankiert von singulären, aber immens spektakulären Kriminalfällen wie dem Fall Ed Gein, den Manson Family Murders oder dem Mord auf dem Altamont Free Concert – und erfüllt von einer teils geradezu paranoiden Skepsis gegenüber den nächsten Mitmenschen und den moralischen Autoritäten, kulminierend infolge der Watergate-Affäre. Das in den frühen 70er Jahre so furiose Horrorkino trieb 1974 noch so unterschiedliche, aber jeweils verstörende Blüten hervor wie "Deranged" (1974), "Frightmare" (1974), "The Texas Chain Saw Massacre" (1974), "La comtesse perverse" (1974), "Vampyres" (1974), "Dead of Night" (1974), "Non si deve profanare il sonno dei morti" (1974), "Il profumo della signora in nero" (1974) oder "L'anticristo" (1974) und zig weitere "The Exorcist"-Plagiate, die bereits eine Serialisierung und Kommerzialisierung des modernen Horrorfilms andeuteten, die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre im modernen Horrorfilm anzurollen begann und in den 80er Jahren dann endgültig ausbrechen sollte. Und noch zwei weitere Filme wären zu nennen, die ein letztes Tabu brachen, nachdem kannibalische Exzesse, Ausweidungen, Zerstückelungen, Blasphemien, sexualisierte Gewalt, Snuff-Mythen und böswillige Verschwörungen der nächsten Vertrauten bis dahin schon in aller Deutlichkeit bespielt worden waren: Sowohl der am 26. April 1974 uraufgeführte "Devil Times Five" als auch der am 31. Mai 1974 uraufgeführte "It's Alive" griffen das mordende Kind aus dem Kriminalfilm ("Bad Seed" (1956)), dem Sci-Fi-Grusler ("Village of the Damned" (1960)) und dem phantastischen Horrorfilm ("Night of the Living Dead" (1968)) auf, um es zum zentralen Bestandteil eines Einbruchs schieren Grauens in den gewöhnlichen Alltag zu machen und (besseren) Filmen wie "¿Quién puede matar a un niño?" (1976), "Halloween" (1978) oder "The Brood" (1979) Vorschub zu leisten.
Sean MacGregors "Devil Times Five" ist kein besonders gelungener Genrefilm, aber in dem Jahr, in dem Mendal W. Johnson "Let's Go Play at the Adams'" (1974) veröffentlichte – seinen Roman über Kinder und Jugendliche, die ihre Babysitterin überwältigen, quälen und zu Tode martern –, und eine ganze Dekade vor "Children of the Corn" (1984) lässt MacGregor eine Gruppe von Kindern kollektiv morden, wobei keine außerirdische oder übernatürliche Macht im Spiel ist, sondern offenbar bloß eine pathologische Störung; psychische Erkrankungen freilich diffamierend, wartet "Devil Times Five" im frostigen Setting mit einer spannenden Prämisse auf, die abgesehen von vereinzelten starken Momenten weitestgehend mittelmäßig umgesetzt wird. Mehr Glück war hingegen Larry Cohen beschieden, der vor seinem schrägen Highlight "God Told Me To" (1976) diesen Mörder-Baby-Klassiker drehte, der zwei Fortsetzungen und ein Remake nach sich zog. Zwischen Schock und Absurdität changiert dieser kultige kleine Fetzer, bei dem das Parodistische und das Pathetische, das Tragische und das Komische, das Ironische und das Ernste sonderbar dicht beieinander liegen: Auslöser ist wie in einem vom Titel bereits angedeuteten "Frankenstein"-Stoff die skrupellose Wissenschaft, die längst auch noch skrupellosen ökonomischen Interessen folgt, denn es sind die Medikamente einer Schwangeren, die ihr klauenbewehrtes Kind direkt nach der Entbindung ein Blutbad anrichten lassen, mit dem es auch zu Bernard-Herrmann-Klängen fleißig fortfährt ... Der Vater schließt sich der Jagd auf das monströse Kind an, wird jedoch letztlich von seinen väterlichen Gefühlen übermannt. Noch zudem gehen am Schluss Meldungen einer anderen Monsterbaby-Geburt ein ...
Beide Filme liegen mittlerweile auch auf Blu-ray vor: "Devil Times Five" (Fassungseintrag von psychopath123) bei cmv-Laservision / AL!VE, "It's Alive" mit seinen Sequels bei Shout Factory (Fassungseintrag von ShapeshiftersFX) ...
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