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von ratz

Vor 50 Jahren: Fellinis Phantasmagorie vom alten Rom

Stichwörter: 1960er Drama Fellini Italien Jubiläum Klassiker Literaturverfilmung Petron Rotunno Satire Spielfilm

Fellini - Satyricon (1969)

Die römische Antike, insbesondere ihre Spätphase, die in ihrer fantasieanregenden Dekadenz die Nachwelt schon immer gleichzeitig abgestoßen und fasziniert hat, erwies sich auch und besonders für das visuelle Medium Films als ein dankbares Sujet. Federico Fellini, der mit "La dolce vita" (1963) zum Starregisseur avanciert war und darin schon einmal eine im Ennui des Überflusses erstarrte Gesellschaftsschicht porträtiert hatte, genoß natürlich das ungeteilte Interesse der internationalen Filmwelt, als er seine Verfilmung des „Satyricon“ ankündigte und schließlich am 4. September 1969 auf dem Filmfestival in Venedig vorstellte.

„Fellini - Satyricon“: daß schon der Filmtitel den Namen des Regisseurs führt und diesen quasi als Label etabliert, hatte nicht nur den Rechtsstreit um einen gleichzeitig entstandenen, heute vergessenen Konkurrenzfilm mit dem gleichen Titel als Hintergrund. Fellini nutzte diese Produktvermarktungsstrategie ebenso, wie er sich ihr zugleich verweigerte, denn er besetzte die Hauptrollen in „Satyricon“ eben nicht mit den im Vorfeld angekündigten Stars, sondern mit unbekannten, dafür um so markanteren Gesichtern. Er drehte eben keinen standardisierten Cinecittà-Historienfilm, sondern ein imaginiertes Sittenportrait aus postmoderner Perspektive, das mehr über die Gegenwart als über die Vergangenheit aussagt. Fellinis Spätstil, der sich bereits mit „Giulietta degli spiriti“ (1965, Anniversary-Text) auszuprägen begann, entfaltet sich hier exemplarisch und verbindet hochartifizielle, ausladende Bildwelten mit losen narrativen Strukturen ohne konventionelle dramaturgische Bögen. Nach eigenen Aussagen sollte seine Verfilmung von Petronius‘ Romanfragment aus dem 1. Jahrhundert nach Christus einem Science-Fiction-Setting à la Flash Gordon näher sein als dem vorherrschenden aufgeräumten, serenen Bild von der Antike. Entsprechend sieht Fellini seine Hauptfiguren als „Hippie-Studenten“, die ohne feste sexuelle Orientierung oder moralische Grenzen, aber bereit für jede hedonistische Ausschweifung durch eine sich im ständigen Exzeß befindliche, uns im Wesentlichen unverständliche Welt ziehen. Diese erstrahlt in den farbigen Breitwandbildern vom Kamermann Giuseppe Rotunno, der weiterhin mit Fellini arbeiten sollte und später auch etlichen amerikanischen Regisseuren (Bob Fosse, Robert Altman, Terry Gilliam) fellineske Bilder liefern würde. Die Filmmusik liefern neben Stammkomponist Nino Rota auch verschiedene zeitgenössische Komponisten der musique concrète, deren avantgardistische elektronische Klänge die Fremdheit der weit zurückliegenden Vergangenheit unterstreichen.

„Fellinis Satyricon“ hat zweifelsohne dazu beigetragen, Tinto Brass‘ notorischen „Caligula“ (1979) zu inspirieren sowie in dessen Nachfolge eine Legion von Sexfilmen in römischer Kulisse. Diese filmhistorische Spätfolge hindert jedoch nicht daran, Fellinis faszinierenden Bilderbogen in brillant restaurierter Qualität zu genießen, denn er liegt auf Blu-ray als Einzelveröffentlichung (Fassungseintrag) und in einer umfassenden Fellini-Box (Fassungseintrag) von Studiocanal vor, wenn auch ohne kontextualisierende Extras. Weitaus besser sind diesbezüglich die Ausgaben des englischsprachigen Auslandes ausgestattet, denn Fellini war stets bereit, in Interviews die Hintergründe seines Schaffens zu erläutern.


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