Ich war 19 (1968)
In der DEFA, dem staatlichen (und einzigen) Filmstudio der DDR, war der Autorenfilm, wie er im Zuge der Nouvelle Vague in der westlichen Welt definiert und praktiziert wurde, ein seltenes Gewächs. Daß ein Regisseur sogar seine eigenen Jugenderinnerungen in diesem hierarchisch durchorganisierten Kunstbetrieb verfilmen konnte, blieb wohl allein Konrad Wolf vorbehalten, der nicht nur eine in der Tat außergewöhnliche Biographie vorweisen konnte, sondern es bis zum Präsidenten der Akademie der Künste gebracht hatte. „Ich war 19“, der am 1. Februar 1968 seine (Ost-)Berliner Premiere feierte, hat seine Entstehung vermutlich auch dieser guten gesellschaftspolitischen Position Wolfs zu verdanken – zum Glück, denn damit liegt ein einzigartiges Erinnerungszeugnis der unmittelbaren Nachkriegszeit im Jahr 1945 vor.
Konrad Wolf war im Frühjahr 1945 tatsächlich 19 Jahre alt und Mitglied der Roten Armee, da er als Sohn emigrierter deutscher Eltern in der Sowjetunion aufgewachsen war. Weil er trotzdem fließend deutsch sprach, war er als einfacher Soldat mit Aufgaben wie dem Verhören von Gefangenen, Übersetzen von Flugblättern oder Verlesen von Lautsprecheransagen betraut. Die zum Teil einschneidenden Erlebnisse beim Einmarsch in das ihm bisher unbekannte Land seiner Eltern, seiner Kultur und seiner Sprache hielt Wolf in Tagebüchern fest, die als Grundlage für „Ich war 19“ dienten. Die Verfilmung behält die episodische Struktur von Tagebucheinträgen bei und vertraut dokumentarisch wirkenden Schwarzweißbildern bei völligem Verzicht auf extradiegetische Filmmusik, auch vor dem Einsatz einer längeren Dokumentarfilmpassage über die Tötungsmaschinen im KZ scheut Wolf nicht zurück, die gerade in ihrer Sachlichkeit einen starken Eindruck hinterläßt. Vor allem aber zeigt Wolf seinen jungen Alias, Gregor Hecker (der spätere Polizeirufkommissar Jaecki Schwarz), bei seinen Begegnungen mit freundlichen, feindseligen und oft ängstlichen Deutschen. Wolf verleiht seinem Protagonisten Tiefe und Glaubhaftigkeit, indem er Hecker die ganze Palette von Gefühlen durchleben läßt, die gerade einen jungen, idealistischen und kampfunerfahrenen Deutsch-Russen erwartet, der plötzlich als Stadtkommandant von Bernau eingesetzt wird. Seine doppelte Identität provoziert bei den Einheimischen Erstaunen: „Sie sind Deutscher?“, wird er mehrmals ungläubig gefragt, und das Deutschsein wird exemplarisch verhandelt, wenn in einer Szene ein opportunistischer und phrasendreschender deutscher Intellektueller auf einen germanophilen russischen Offizier trifft – die idealisierte Vorstellung des geistigen Deutschlands deckt sich nicht mit der barbarischen Wirklichkeit.
„Ich war 19“ ist seit 2015 in einer remasterten DVD-Ausgabe erhältlich, vor allem jedoch sei hier die Buchausgabe der Kriegstagebücher von Konrad Wolf empfohlen, der die DVD ebenfalls beiliegt (Fassungseintrag). Hier läßt sich (aus dem Russischen übersetzt) nachvollziehen, wie der junge, teils naive Wolf das harte Leben in der Armee und die Auswirkungen des Krieges auf sich selbst und andere reflektiert. Die ausführliche und fundierte OFDb-Kritik von Fastmachine benennt auch die Schwächen des Films, die seine Wirkung und Bedeutung jedoch nicht schmälern.
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