The Ox-Bow Incident (1943)
Obwohl der Western in der US-Filmindustrie als das uramerikanische Genre stets eine Sonderrolle einnahm, so hatte er doch seine Hoch- und Tiefphasen. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges herrschte in Hollywood eine Westernflaute – angesichts der Geschehnisse in Europa wollte das Publikum keine singenden Cowboys in sauberen Hemden sehen. In „The Ox-Bow Incident“, der am 8. Mai 1943 seine New Yorker Premiere feierte, schlägt Regisseur William A. Wellman jedoch einen ungewohnt harten und realistischen Ton an, wenn er die unrühmlichen Ereignisse um einen Lynchmob schildert. Das brachte dem Film zwar keinen Erfolg an den Kinokassen ein, wohl aber das bis heute anhaltende Lob der Kritik und seinen Ruf als wichtigster Western der 40er Jahre.
„The Ox-Bow Incident“ orientiert sich an der 1940 erschienenen Romanvorlage von Walter Van Tilburg Clark und verdichtet diese auf eine nur 75 Minuten lange Darstellung der Bildung eines illegitimen Lynchmobs, der eine Gruppe von (vermeintlichen) Viehdieben und Mördern aufspüren und hängen will. Der Großteil der Handlung spielt bei Nacht, was dem Film den berechtigten Ruf eines Noir-Western eingebracht hat: die Dunkelheit in der Wildnis bietet Raum für die voreiligen, ungerechtfertigten und letztlich fatalen Entscheidungen des Mobs, drei aufgegriffene Verdächtige (darunter Dana Andrews am Beginn seiner Karriere) ohne Beweise oder ein ordentliches Verfahren zu exekutieren. Moralischer Anker für den Zuschauer ist die Figur des Cowboys Gil, die von Henry Fonda als desillusionierter Beobachter gespielt wird. Dieser weiß zwar um das Unrecht, das hier begangen wird, kann aber auch nicht mehr tun, als sich mit wenigen anderen gegen das Vorgehen der Mehrheit auszusprechen – für mehr oder sogar Heldentaten ist in seiner Situation kein Platz. Und so bleibt es den lautstarken Scharfmachern vorbehalten, das Wort zu führen und das grausame Vorhaben des Lynchmobs durchzuführen. Unschwer lassen sich aus dieser Konstellation die gleichnishaften Bezüge zur Gegenwart, insbesondere zur politischen Situation in Europa ziehen: auch hier wurde die Stimme der Vernunft durch lautstarke Kriegstreiber übertönt, die das Recht in die eigenen Dienste gestellt und dadurch korrumpiert hatten. „The Ox-Bow Incident“ führt die Folgen solchen Handelns unerbittlich vor Augen (ohne daß Gewalt je direkt gezeigt wird) und stellt die unbequeme Frage nach der moralischen Verantwortung des Einzelnen, ohne dabei zu belehren – Wellman überläßt es den knappen, prägnanten Drehbuchdialogen und den rauhen, unrasierten Gesichtern seiner Darsteller, diese Botschaften eindrücklich zu vermitteln.
In Deutschland ist der „Ritt zum Ox-Bow“ in der verdienstvollen Reihe „Westernlegenden“ bei Koch Media als gut ausgestattete Blu-ray (Fassungseintrag) und DVD (Fassungseintrag) erschienen, noch tiefschürfender sind allerdings die Extras der britischen Blu-ray/DVD-Combo von Arrow (Fassungseintrag). Eine kurze Kritik ist auf derfilmnoir.de zu finden.
Registrieren/Einloggen im User-Center