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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Die Schlacht in der Valle Giulia und die Cinegiornali der Movimento Studentesco – 1968-Retrospektive II, Studentenproteste I

Stichwörter: 1960er 1968-Retrospektive Agitationsfilm Dokumentarfilm Italien Jubiläum Klassiker Kurzfilm Studentenproteste

Cinegiornale del movimento studentesco n.1 (1968)

Die international tobenden Studentenproteste gehören unweigerlich zum Jahr 1968 dazu: In den USA, in der Tschechoslowakei, in Polen, in Japan, in Mexiko, in der Schweiz, in Deutschland und natürlich in Frankreich gab es sie. Und auch in Italien uferten Studentenproteste ab dem März gehörig aus. Sieht man von (ehemaligen) Studenten und abenteuerlustigen jungen Leuten einmal ab, halten sich die Sympathien für studentische Saal-Besetzungen meist in Grenzen. Um die Situation in Italien ein bisschen im Kontext zu sehen, ist es zunächst wichtig zu wissen, dass die Zahl der Studierenden in den 60er Jahren dramatisch zugenommen hatte: Die Kapazitäten der großen Universitäten waren 1967/1968 bereits um das zehn- oder gar zwölffache überlastet. In dieser Dekade wächst eine Generation von Studierenden heran, bei denen sich eine zunehmende Unzufriedenheit (mit den gravierenden universitären Missständen) vermengt mit einer sich unter der rasant vergrößernden Masse der Studierenden ausbreitenden linksintellektuellen Haltung, die natürlich auch durch die Entwicklungen in anderen Ländern gestärkt wird, vor allem aber durch Attacken der Neo-Faschisten erhärtet wird. Gerade die Existenz und die Aktionen dieser Neo-Faschisten, die etwa im Rahmen der Avanguardia Nazionale im Jahr 1966 einen Mord an einem Studenten begangen haben, führten dazu, dass sich die Studierenden schnell in der Tradition der resistenza sahen.
Zu dieser Zeit ist an italienischen Gymnasien mit Schulverweisen gegen aufmüpfige Schülerzeitungen - die sich an Skandalthemen wie Vietnam oder Sexualität gewagt hatten - vorgegangen worden, was landesweit recht hitzig diskutiert worden ist. Das verfolgten die Studierenden ebenso, wie sie auch am eigenen Leib erfahren mussten, dass etwa in den Politikwissenschaften nicht ansatzweise auf die von ihnen vorgeschlagenen Themen eingegangen worden ist; hinzu gesellten sich eine mangelhafte Betreuung durch die (aufgrund der Masse der Studierenden überforderten) Dozenten und unverhältnismäßig fordernde Prüfungen, die mit willkürlichen Beurteilungen durch teils äußerst autoritäre Professoren für hohe Durchfallquoten sorgten. Ein solches Klima wurde 1967 noch dadurch verschärft, dass der damalige Innenminister Paolo Emilio Taviani dafür sorgte, dass Besetzungen durch Studierende - die zunehmend autonome Seminare auf die Beine zu stellen versuchten - nicht nur auf Wunsch der Uni-Rektoren aufgelöst werden sollten, sondern ganz grundsätzlich immer... Kritik durch die Kommunistische Partei - welche die neuen Linken ihrerseits eher skeptisch betrachteten - und meist abwertende Zeitungs-Berichterstattungen vergrößerten den trotzigen Kampfgeist auf Dauer noch.
Am 29. Februar 1968 kommt es dann zu einer Räumung der Universität La Sapienza durch die Polizei, als wieder eine Besetzung stattgefunden hat. Am 1. März schlagen die Studierenden dann zurück und die Carabinieri - und etliche Neo-Faschisten - nach heftigen Auseinandersetzungen in die Flucht. Der gewaltbereite Protest machte (gleichwohl man sich in Folgetagen doch wieder außerhalb der Universität versammelte) fortan Schule - und auch die gewaltbereiten Polizeieinsätze radikalisierten sich und ernteten in den kommenden Monaten teilweise deutliche Kritik.
In diese Debatte mischte sich seinerzeit auch Pasolini, der große Schriftsteller und Regisseur, der als kommunistischer, schwuler Katholik regelmäßig zwischen allen Stühlen saß. In einem offenen Brief kritisierte er die Student(inn)en heftig und ergriff Partei für die Polizei, in der er die weit weniger priveligierten Mitbürger erblickte, die nicht über die Vorteile der bourgeoisen Studenten verfügten. (Gleichwohl viele italienische Studierende noch nebenbei arbeiten mussten, was wohl mit dazu beigetragen hat, dass die Vereinigung von Arbeitern und Studenten in Italien insgesamt noch enger ausgefallen ist als in Frankreich.)
Filmisch äußerte sich Pasolini jedoch nicht zu dieser Thematik - aber die Movimento Studentesco fing nun an, eigene Dokumentarfilme in Kollektivarbeit herzustellen, von denen das "Cinegiornale del movimento studentesco n. 1" der erste ist. In ihm sind - beginnend mit einer Versammlung am Folgetag des wirkmächtigen 1. März - Versammlungen, Demonstrationen und gewaltsame (mit rasanter Handkamera eingefangene) Ausschreitungen gleichermaßen zu sehen, wobei Studenten aus dem Off ihren "Kampf gegen die Klassenstruktur des Bildungssystems" erläutern, die jüngsten Entwicklungen rekapitulieren und sich - unabhängig von Parteien und Führungspersönlichkeiten - (nicht nur) im universitären Alltag und insbesondere im Kampf gegen die Vorschriften durch Rektoren und Politiker für ein demkokratischeres, selbstbestimmteres, weniger autoritäres Universitätsleben einsetzen. Vereinigungen mit Black Power-Aktionisten, Zeitungsschlagzeilen über marxistische Dozenten und Kämpfe der Neo-Faschisten gegen Uni-Besetzer runden das Bild ab.
Erhältlich ist der Film auf der ersten von zwei Begleit-DVDs der Buchveröffentlichung Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien II von LAIKA: Fassungseintrag von PierrotLeFou


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