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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Der Vietnamkrieg aus ungewohnter Perspektive – 1968-Retrospektive XII, Vietnam III

Stichwörter: 1960er 1968-Retrospektive Dokumentarfilm Frankreich Ivens Jubiläum Klassiker Krieg Loridan-Ivens Propaganda Vietnam Vietnamfilm

Le 17e parallèle: La guerre du peuple (1968)

1967 hatte sich Ivens erstmals filmisch mit dem Vietnamkrieg beschäftigt. In "Le ciel - La terre" (1967) und dem Gemeinschaftsprojekt "Loin du Vietnam" (1967), an welchem auch Agnes Varda, Claude Lelouch, Alain Resnais, William Klein, Jean-Luc Godard und vor allem Chris Marker mitarbeiteten. Godard blieb zu dieser Zeit eine Drehgenehmigung in Nordvietnam verwehrt, Joris Ivens, der in acht Dekaden des Filmemachens nahezu weltweit drehte, konnte hingegen 1968 in Nordvietnam einen Film drehen, der so vollkommen anders ist als alles, was man so an Vietnamkriegsbildern kennt.
Das hängt zugegebenermaßen auch damit zusammen, dass Ivens in seinen politischeren Werken den spürbar propagandistischen Anstrich keinesfalls scheute: In seinen antifaschistischen Arbeiten während des Zweiten Weltkriegs ebenso wie etwa in den DDR-Produktionen, die der Niederländer mit dem Interesse am Kommunismus in den 50er Jahren anfertigte. Sein Vietnam-Film "Le 17e parallèle: La guerre du peuple" - uraufgeführt am 5. März 1968, am 12. Juli 1968 erstmals im Fernsehen ausgestrahlt - hält sich in seiner Konzentration auf den Kampf der Nordvietnamesen dann auch zurück, wenn es um Informationen zur Unterstützung durch China oder die UdSSR geht. Ivens bleibt mit seiner Partnerin Marceline Loridan Ivens und den nordvietnamesischen Kollegen - die teils Spielfilm-, teils Dokumentarfilmerfahrungen aufweisen konnten - dicht dran an der nordvietnamesischen Bevölkerung, zeigt allein ihre Perspektive, ihre Situation, ihren Kampf.
Es ist ein radikaler Gegenentwurf zur Vietnam-Berichterstattung, welche die westliche Welt ihrerzeit über die Bildschirme flimmern sah. "Le 17e parallèle: La guerre du peuple" nähert sich in Teilen einer cinéma vérité-Ästhetik an und zeigt zurückhaltend beobachtend den Alltag der porträtierten Personen, die in unteriridischen Gräben leben und unterrichten, mit Blattwerk getarnt auf amerikanische Flugzeuge schießen, aus abgestürzten US-Fliegern, Raketenteilen und Minen Druckerpressen und Waffen anfertigen, aus den nach Bombardierungen durch B52-Bombern entstandenen Kratern Teiche machen, Verluste billanzieren & solidarisch ausgleichen und Fragen einer Reporterin aus Hanoi beantworten. Man gibt sich optimistisch, äußert sich provokativ über den Feind, dessen Bombardierungen als relativ wirkungslos dargeboten werden, scherzt erstaunlich oft, kämpft, arbeitet auf dem Feld, verarztet Verletzte, verspottet Gefangene und lernt Englisch für den Ernstfall. Bloß gegen Ende ist Platz für Trauer und Schmerz, ehe wieder der hoffnungsvolle Optimismus einsetzt und den Film beendet.
Gewiss beschönigt der Film die Gräuel des Krieges (auf beiden Seiten). Unübersehbar ist "Le 17e parallèle: La guerre du peuple" ein parteiischer Film mit reichlich Platz für Selbstinszenierungen. Dass er ein wahreres Bild des Vietnamkriegs liefert, wird man schwerlich sagen können. Aber es ist ein Film, der den Bildern von Kampfpiloten, die aus überlegener Perspektive auf den Vietcong feuern und freudig von ihrer Überlegenheit berichten, etwas entgegensetzt - und Mitte der 70er Jahre rückblickend wie eine Vorahnung gewirkt haben muss. Und nebenbei ist es auch noch ein Film, welcher eine Frauenbild vermittelt, das 1968 in Europa und Nord-Amerika noch in den Kinderschuhen steckte: Die Dorfmiliz-Leiterin Miên ist bloß eine von vielen Frauen, die hier auf Augenhöhe mit den Männern agieren, auch wenn sie insgesamt etwas weniger an direkten Kampfhandlungen partizipieren. Schon mit "Die Windrose" (1957) hatte Ivens der Rolle der Frau in verschiedenen Gesellschaften nachgespürt. Mit seiner Lebens- & Arbeitsgefährtin macht er das hier ganz am Rande erneut: Und über das bloße, propagandistisch geförderte Einbeziehen von Frauen während des Zweiten Weltkriegs in Fabriken, Krankenhäusern oder als Telefonistinnen etc. gehen die Bilder dieses durchaus propagandistischen, leicht essayistischen Dokumentarfilms doch hinaus.
Die 2008 restaurierte Version des Films ist in der lohnenswerten Edition Joris Ivens. Weltenfilmer enthalten, die hierzulande von absolut Medien dargeboten wird: Fassungseintrag von PierrotLeFou


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