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von ratz

Vor 50 Jahren: Paul Verhoeven läßt die Säfte fließen

Stichwörter: 1970er de-Bont Drama Erotik Hauer Jubiläum Klassiker Liebesfilm Literaturverfilmung Niederlande Soeteman Spielfilm van-de-Ven Verhoeven Wolkers

Turks fruit (1973)

Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven muß nicht mehr vorgestellt werden, schließlich verdankt ihm die Filmwelt die interessantesten Hollywood-Blockbuster zwischen 1987 („Robocop“) und 1997 („Starship Troopers“). Diesen werden oft ihr „europäischer Tonfall“ sowie deutliche subversive Tendenzen bescheinigt, und ein Blick auf Verhoevens Frühwerk zeigen diese Eigenschaften in ihrer deutlichsten Ausprägung. Schon sein Spielfilm-Erstling von 1971 war eine Erotikkomödie (damals ein in Europa ubiquitäres Genre), über die Verhoeven später nicht mehr gern sprach, doch der ganz große Durchbruch gelang mit dem deftigen Liebesdrama „Turks fruit“, das am 22. Februar 1973 in die holländischen Kinos kam und sofort ein phänomenaler Erfolg wurde.

„Turks fruit“ basiert auf dem gleichnamigen, autobiographisch inspirierten Roman des niederländischen Künstlers und Schriftstellers Jan Wolkers von 1969, der stilistisch der Beatnik-Literatur nahesteht – eine um Authentizität bemühte, unkonventionelle und deutliche Sprache schildert unverblümt das Aufbegehren und den Freiheitsdrang der Nachkriegsgeneration. Verhoeven und sein Stamm-Drehbuchautor Gerard Soeteman halten sich eng an Vorlage und übersetzen Wolkers‘ drastische Sprache in ebenso drastische Bilder. Inspiriert von der fiebrigen Intensität des New Hollywood (vor allem William Friedkins „The French Connection“) wird die Amour fou des jungen Bildhauers Eric und des Mädchens Olga, einer Tochter aus bürgerlichem Hause, erzählt (Rutger Hauer und Monique van de Ven in ihren Leinwanddebüts). Mittels dynamischer Handkamera (geführt von Jan de Bont), zügigen Schnittfolgen und realistischen Settings zeigt „Turks fruit“, wie das junge Paar immer wieder an den versteinerten Konventionen des holländischen Mittelstands aneckt und so gar nicht in dessen verklemmtes und scheinheiliges Wertemuster paßt. Die Spießigkeit des Kleinbürgertums wird effektiv mit einer Krankheit gleichgesetzt: Olgas Mutter hatte Brustkrebs, ihr Vater verfault bei lebendigem Leibe, und auch Olga selbst, die ihrem Milieu nicht entfliehen kann, wird schließlich mit einer lebensbedrohlichen Diagnose konfrontiert. Der Freigeist Eric wiederum, der sonst vor keinem Körpersekret zurückschreckt, muß sich jedoch auf einer aufgesetzt jovialen Party übergeben. Die verblüffend natürliche und offene Darstellung von ungebremster, beinahe animalischer Lust und freudvollem Sex, aber ebenso deutlich von Krankheit und Tod in einem regulären Kinofilm (noch dazu in den calvinistisch geprägten Niederlanden) machte Verhoeven über Nacht bekannt.

Bis heute hält „Turks fruit“ in den Niederlanden den Rekord des am meisten gesehenen einheimischen Kinofilms und wird in hohen Ehren gehalten. Um so schlimmer, daß Verhoevens frühe Filme aktuell sehr schwierig zu sehen oder zu bekommen sind, da der Produzent Rob Houwer sie seit den frühen 2000ern nicht mehr lizensiert. Die damals erschienenen DVDs sind nicht einmal mehr auf dem Gebrauchtmarkt erhältlich, doch wer die Suchmaschine bemüht, findet online immerhin englisch untertitelte Streams. Die OFDb-Kritik von Bretzelburger betont Verhoevens visuellen Stil und wie sehr der Film – obwohl er eine Literaturverfilmung ist – mehr in Bildern und Szenenfolgen als über Dialoge funktioniert.


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