Le genou de Claire (1970)
Nachdem er mit seinem vermutlich populärsten Klassiker "Ma nuit chez Maud" (1969) noch einmal zum abendfüllenden s/w-Film zurückgekehrt war, widmete sich Nouvelle-Vague-Größe Eric Rohmer im Jahr darauf wieder dem Farbfilm, bei dem der Regisseur fortan auch bleiben sollte. Auch "Le genou de Claire", der am 11. Dezember 1970 seine Uraufführung erlebte, zählt zu den großen Klassikern Rohmers; ist zusammen mit "Pauline à la plage" (1983) wohl auch sein bekanntester Film nach "Ma nuit chez Maud". Rohmers zuvor schon bemerkenswerte Vorliebe für eine gerne auch als Dialoglastigkeit geschmähte Dialogfülle trat in den Farbfilmen wohl noch etwas stärker hervor als in seinen s/w-Filmen, mit denen er nun endgültig abgeschlossen hatte. Die s/w-Ästhetik, die zumindest nach dem erfolgreichen Siegeszug des Farbfilms in den 50er und 60er Jahren als formgebende Stilisierung offenkundig war, fiel nun aus, und die Farbästhetik eines Rohmers trat letztlich eher unscheinbar und unauffällig in Erscheinung – und nicht etwa stilisiert, verfremdend, expressiv. Die visuelle Ebene geriet noch zurückhaltender, die Dialogebene machte sich noch mehr bemerkbar, was die Filme für manchen unfilmisch erscheinen ließ. Doch abgesehen davon, dass man schon sehr dogmatische Vorstellungen vom Film(ischen) haben muss, um Filme als vermeintlich unfilmisch zu verwerfen, bringt die der Literatur entstammende Komponente der Sprache eine philosophische (verbale) Qualität mit sich, die das Denken in Sätzen mit dem Denken in Bildern und mit den reinen Körpern selbst verbindet. Der Philosoph und Filmtheoretiker Gilles Deleuze wählte sich "Le genou de Claire" als ersten Film Rohmers aus, um über Besonderheiten der Tonspuren des modernen Films bei Rohmer und bei Robert Bresson zu sinnieren. Man muss seinen Überlegungen zur "freien indirekten Rede" nicht folgen, aber es wird einem kaum entgehen, wie sehr Rohmer die Sprechakte seiner Figuren zwischen theoretischer Philosophie und Moral einerseits sowie den praktischen Handlungen (die bei Rohmer im Detail liegen, in begehrenden Blicken, zaghaften Berührungen, etwa des Knies einer begehrten Frau) andererseits verortet. Nachdem philosophische Diskurse in "Ma nuit chez Maud" sehr explizit und zentral eingesetzt worden waren, weist Rohmer in "Le genou de Claire" nicht zufällig eine der Figuren als Schriftstellerin aus. Sprache ist bei ihm nie ausschließlich ein unreflektiertes Kommunikationsmittel, sondern eben immer auch ganz ausdrücklich eine Form von Reflexion selbst. Vereinen den Film der Stellenwert von Sprache sowie die Verhandlung von Begehren mit dem Vorgänger "Ma nuit chez Maud", so vereinen ihn mit dessen Vorgänger "La collectionneuse" (1967) nicht bloß der neuerliche Farbeinsatz und die Verhandlung von Begehren, sondern auch die sommerlich Idylle, die auch in "Le genou de Claire" wieder (und nicht zum letzten Mal) bei Rohmer den Rahmen abgibt. Alle drei Filme zählen zu den sechs contes moraux, die Rohmer mit dem folgenden Spielfilm "L'amour l'après-midi" (1972) abschließen sollte. Mit diesen drei genannten Filmen, mit dem eingangs genannten "Pauline à la plage", mit dem ersten Langfilm "Le signe du lion" (1962) und einigen weiteren Klassikern des Autorenfilmers liegt der mit Jean-Claude Brialy prominent besetzte "Le genou de Claire" zurecht in der Best of Eric Rohmer-Box von Arthaus auf DVD vor: Fassungseintrag von dirkvader
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