Few of Us (1996)
Sharunas Bartas ist sicher keine übermäßig bekannte Persönlichkeit im Weltkino, aber er ist zumindest der vermutlich bekannteste Filmemacher Litauens – wenn nicht gar des Baltikums insgesamt. Die geringe Aufmerksamkeit, die Litauen auf sich zieht, und der rigide Minimalismus der Bartas-Filme sorgen Hand in Hand dafür, dass Bartas noch immer weitgehend ein Geheimtipp ist, wenn er auch immer wieder einmal das Filmfestival in Cannes beehren darf... Dort lief im Mai 1996 auch "Few of Us", der ab dem 18. September 1996 dann seine Kinoauswertung erlebte. "Few of Us" ist der erste Langfilm Bartas', der einen englischen Originaltitel aufweist. Gesprochen wird in diesem Film indes kaum ein Wort. Zugleich ist es der bis dahin längste Film des Regisseurs, der nach Kurzfilmen, einem 75-Minüter und einem 85-Minüter nun einen knapp 100-minütigen Film vorlegte. Sonst bleibt alles beim Alten: Bartas Lebensgefährtin und Stamm-Hauptdarstellerin Yekaterina Golubeva, die ab 1997 vor allem auch im französischen Film unter Leos Carax, Claire Denis oder Bruno Dumont größere Erfolge vor ihrem frühen Tod im Jahr 2011 feiern durfte, ist hier wieder in der Hauptrolle zu sehen. Anders als oftmals angegeben, taucht Claire-Denis-Stammschauspieler Alex Descas hier jedoch nicht auf. Da scheinen Cast- und Alternativtitelangaben "Few of Us" mit dem späteren Bartas-Film "A casa" (1997) zu verwechseln – was bereits Bände bezüglich der geringen Bekanntheit Bartas' spricht...
"Few of Us" bleibt – englischer Titel hin oder her – durch und durch eigenwillig und sperrig, ist mit seinem Minimalismus, den gedehnten Einstellungen mit ihrem langen Atem und der Bewegungsarmut, und der wie oftmals bei Bartas kryptischen Handlung alles andere als massentauglich. "Few of Us" ist ein leises Drama... oder ein leiser Thriller, allerdings ohne Thrill: Golubeva wird zu Beginn per Helikopter in die Region des Sajangebirges eingeflogen, legt die letzten Meilen dann per Militärfahrzeug zurück. Vom Himmel kommt sie, wie ein Deux ex machina in einem brenzligen Finale: allerdings eben schon ganz zu Beginn, als Frau, nicht als Gott... und auch nicht helfend oder klärend als Heilsbringer, sondern als unfreiwilliger Auslöser von Unruhen. Das Dorf, in welches sie eintritt, wird von Tofalaren, früheren Nomaden, bewohnt, deren Lage schon in den 90er Jahren als besorgniserregend galt: hohe Sterblichkeit, schrumpfende Bevölkerungszahlen, immense Arbeitslosigkeit... es ist eine trostlose, karge Umgebung, in der – fernab der beeindruckenden Gebirgslandschaft – einige wenige zerblätterte Printmedien und der Alkohol noch am ehesten Sehnsuchtsräume erwachsen lassen. Ansonsten gibt es etwas Musik und Gesang; Essen und Sex natürlich... aber es dominiert dann doch die Langeweile – und so zieht die schöne Fremde dann alsbald begehrliche Blicke auf sich. Motivationen bleiben allerdings unklar, wenn dann unvermittelt ein, zwei Gewaltspitzen den tristen Alltag durchdringen, ohne dass sich daraus auch bloß annähernd eine konventionelle Dramaturgie, gar eine Spannungsdramaturgie ergeben würde... Was auch immer die Fremde in dieser Gebirgsgegend finden wollte: gestoßen ist sie letztlich auf widrige Umstände und latente Gewalt, die an diesem Rand der Zivilisation problemlos ausbrechen kann. Und als Assoziation schwingt alles mit: Die Frau unter aggressiven Männern, die indigenen Gruppen, die unter dem Handel mit Alkohol und nach der einstigen Hinrichtung des Ethnologen und Tofalaren-Experten Petri Bernhardt im Jahr 1937 einen Niedergang erlebten, das entbehrungsreiche Leben im Gebirge, in das der Fortschritt bloß in Form eines Kettenfahrzeugs hineinrollt... da schwingt auch ein Russlandbild des litauischen Filmemachers mit, das seit der Annexion der Krim – die Bartas in "Frost" (2017) aufgreifen sollte – sicher nochmals berechtigter erscheint. Aber bei allen Schwingungen und Assoziationen liefert "Few of Us" eines ganz sicher nicht: Klarheit.
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