Al-mummia (1969)
In seiner "Ontologie des photographischen Bildes" (1945) bezeichnete André Bazin den Dauer statt Augenblicke festhaltenden Film treffend als "Mumie der Veränderung" (was bereits wie eine Vorahnung der "versiegelten Zeit" anmutet, die im Deutschen den Titel von Tarkowskijs Kino-Band abgab). Das gilt natürlich auch für den Mumienfilm – aber der gewöhnliche Mumienfilm hat das Motiv der Mumie stets ganz anders begriffen als Bazin: Ihm war die Mumie nicht einfach bloß ein mumifiziertes Objekt, sondern – wie den Mumifizierenden selbst – ein Körper des ewigen Lebens, der schließlich seiner Totenstätte zu entsteigen vermag. Hier ging es niemals um die Mumie als starres, versiegeltes Objekt – die Mumie selbst verlor hier ihrer Mumienhaftigkeit, indem sie wankte, schritt, agierte, sprach, stöhnte...
"Al-mummia" ist hingegen ein Mumienfilm, der sowohl die Mumie Mumie sein ließ, als auch Bazins "Mumie der Veränderung" besonders augenfällig werden ließ: Hier hallt der Neorealismus mit seinen vergleichsweise langen Einstellungen nach (weshalb ungeduldigere Filmkritiker dem Film seine durchaus gegebene Gemächlichkeit als Schwachpunkt vorhalten; apropos Neorealismus: mit Roberto Rossellini arbeitete Salam bei "La lotta dell'uomo per la sua sopravvivenza" (1967-1970) zusammen). Dabei ist "Al-mummia" freilich kein neorealistischer Film: die sonderbar dröhnende, beklemmend hallende, surrende Tonspur (die einem Horrorfilm alle Ehre machen würde) und die teils avantgardistisch anmutenden Bildkompositionen (wie z.B. extreme Aufsichten) gehen gänzlich eigene Wege. Chadi Abdel Salam war, so zeigt es ein Blick auf seine Biografie, ausgesprochen experimentalfilmaffin: Das glaubt man gerne, wenn man bedenkt, dass er an "Faraon" (1966) des Polen Jerzy Kawalerowicz beteiligt war; man mag überrascht sein, wenn man bedenkt, dass er auch an Joseph L. Mankiewicz' "Cleopatra" (1963) mitgewirkt hatte. (Es mag erhellend sein, dass Salam später erklärte, von Kawalerowicz profitiert zu haben und unter Mankiewicz lediglich gearbeitet und nichts gelernt zu haben.)
"Al-mummia" gilt unter seinen wenigen Regie-Arbeiten als opus magnum: zum einen sicherlich weil es sein einziger Langspielfilm geblieben ist ("Akhenaten" über den König Echnaton konnte er als sein letztes Projekt nicht fertigstellen); zum anderen aber auch, weil er inmitten einer eher genreorientierten Phase des ägyptischen Films als etwas avantgardistischer, vielschichtiger, gehaltvoller und durchaus fordernder Autorenfilm eine Sonderstellung einnahm. Nicht etwa die Nagib Mahfuz-Verfilmung "El less wal kilab" (1962, Der Dieb und die Hunde) oder die Werke des wohl berühmtesten Regisseurs Ägyptens, Youssef Chahine, landeten später besonders häufig auf dem obersten Platz, wenn es um die besten ägyptischen Filme ging, sondern Chadi Abdel Salams "Al-mummia". Und auch Scorsese erwies dem Film im Rahmen seines World Cinema Project mittlerweile die Ehre und erhob ihn somit in die Gefilde kanonisierter Titel des Weltkinos.
Das ergibt sich sicherlich auch daraus, dass der Film zu den Werken zählt, die kurz nach dem Sechstagekrieg in Angriff genommen waren: "Al-mummia" verschreibt sich aber nun gerade keinem Panarabismus, keinem Islamismus, sondern konzentriert sich allein auf Ägypten und seine Geschichte. So eng Sechstagekrieg und Entstehungs-/Veröffentlichungszeitpunkt beieinanderliegen, so eng liegen auch der Handlungszeitraum (1881) und der Beginn der britischen Herrschaft (ab 1882) beieinander. Unter Flinders Petrie etablierte sich dann ab 1880 auch die Ägyptologie, die in den nächsten Jahrzehnten vor allem als britische Aktivität voranschritt und diverse ägyptische Artefakte nach Europa überführte. (Hier dringt dann auch die ägyptische Mumie ganz deutlich in die phantastische Literatur ein; von Doyles "The Ring of Thoth" (1890) bis Stokers "The Jewel of Seven Stars" (1903).) In "Al-mummia" werden – nach wahren Begebenheiten – die Grabstätten noch von einem ägyptischen Stamm geplündert und die erbeuteten Artefakte auf den Schwarzmarkt gebracht. Aber Wanis, Stammesmitglied und heimliche Hauptfigur des Films, sieht sich alsbald einem moralischen Dilemma ausgesetzt, fühlt er sich doch zunehmend auch der Vergangenheit des Landes verpflichtet, die in Form steinerner Bauten und Mumien ausgesprochen gegenwärtig wirkt.
Eine DVD-/BluRay-Veröffentlichung des ägyptischen Klassikers steht heutzutage leider noch immer aus...
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