Ivan Grozny (1944)
An Sergej Eisenstein kommt niemand vorbei, der sich auch nur gelegentlich mit der Filmgeschichte beschäftigt: von den frühen, revolutionären und montagetechnisch wegweisenden Werken wie „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925) oder „Oktober“ (1928) über filmtheoretische Schriften bis zu den späteren historischen Epen wie „Alexander Newski“ (1938) und natürlich den beiden Teilen von „Iwan der Schreckliche“ (1944 und 1958) – nur wenige Filmschaffende haben das noch junge Medium so geprägt wie Eisenstein. Und bis heute beschäftigt die Wissenschaft in zahlreichen Monographien, warum sich der Stil von „Iwan der Schreckliche“, der am 30. Dezember 1944 in der Sowjetunion uraufgeführt wurde, so radikal von Eisensteins Frühwerken unterscheidet.
Waren seine Stummfilm-Dokudramen der 1920er Jahre noch geprägt von teils atemberaubender Schnittechnik und dem enthusiastisch-energetischen Geist der russischen Revolution, so mutet der letzte vollendete Film Eisensteins, „Ivan Grozny“ (Teil 1), in seiner hochartifiziellen Theatralik und Getragenheit oft beinahe statisch an. In präzise komponierten Bildern, die in eindrückliches Chiaroscuro-Licht getaucht sind, wird die Erfolgsgeschichte des Herrschers Iwan IV. (Nikolai Tscherkassow) erzählt, der sich selbst zum gesamtrussischen Zaren krönte und damit die Einheit des Reiches etablierte. Seine Gegenspieler, die Fürsten und der Klerus, werden von seiner intriganten Tante (Serafima Birman) angeführt, doch auch sie vermag nicht, Iwan von seinen politischen Zielen abzuhalten. Unschwer ist hinter diesem staatstragenden Einigkeitsnarrativ die propagandistische Stoßrichtung zu erkennen – für Sowjetrußland hatte sich gerade das Kriegsschicksal gewendet, es war von der Verteidigung in das aktive Zurückdrängen der deutschen Truppen übergegangen und brauchte nun die Schlagkraft des gesamten Volkes. Entsprechend wurde für „Ivan Grozny“ im kasachischen Alma Ata, wohin die Filmstudios kriegsbedingt verlegt worden waren, weder an riesigen Kulissen noch an Statisten für beeindruckende Massenszenen gespart. Es gehört zu den bitteren Ironien der sowjetischen Filmgeschichte, daß Teil 1 von „Ivan Grozny“ gefeiert und u.a. mit dem Stalinpreis bedacht wurde (Stalin selbst hatte das Werk Ende 1941 in Auftrag gegeben), während Teil 2 umgehend verboten wurde und erst 1958, also zwölf Jahre nach seiner Fertigstellung und fünf Jahre nach Stalins Tod, gezeigt werden durfte. Ein dritter Teil, von dem nur einige Fragmente erhalten sind, wurde nie fertiggestellt, und allein diese Umstände skizzieren die komplizierte Gemengelage um den einstigen Avantgardisten Eisenstein, der mit „Ivan Grozny“ die glorifizierende Verherrlichung eines Diktators zu betreiben scheint.
Bislang sind die beiden Teile von „Ivan Grozny“ bei uns in keiner empfehlenswerten Edition für den Heimcineasten erschienen – die deutsche DVD von Icestorm (Fassungseintrag) beruht auf einem alten Master und hat keinen Originalton an Bord. Glücklicherweise wurde jedoch von der Produktionsfirma Mosfilm der 2014 restaurierte Film in HD-Qualität mit englischen Untertiteln auf Youtube zur Verfügung gestellt (Link). Ein Ausnahmeereignis war die 2016er Konzertfilmfassung mit Live-Orchester auf Arte (Fassungseintrag), doch ob diese jemals wieder ausgestrahlt oder veröffentlicht wird, bleibt ungewiß. Für eine Einführung in die Hintergründe von „Ivan Grozny“, Teil 1 ist die auf Englisch geführte, erhellende Erörterung der Filmwissenschaftler Joan Neuberger und Peter Bagrov zu empfehlen, die ebenfalls auf Youtube verfügbar ist (Link).
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