L'enfer (1994) (und L'enfer (1964))
Vor seinem letzten Spielfilm "La prisonnière" (1968) nahm sich der längst zum Altmeister avancierte Henri-Georges Clouzot eines Projekts an, das zu den großen gescheiterten Werken der Filmgeschichte zählt: Es sollte die Geschichte eines Mannes werden, der in sich seiner Beziehung zur jüngeren Frau in eine so unbegründete wie wahnhafte Eifersucht steigert, welche die Beziehung zunehmend belastet und mit seinem schwindenden Sinn für die Realität einhergeht. Mit Romy Schneider und Serge Reggiani hatte Clouzot die Figuren besetzt und im Jahr 1964 rund 15 Stunden Material angehäuft, um das Projekt letztlich nicht fertigzustellen. Geblieben ist der Öffentlichkeit der erst Jahre später entstandene Dokumentarfilm "L'enfer d'Henri-Georges Clouzot" (2009), der Teile des Material darbietet und erahnen lässt, was Clouzot im Sinn hatte. In einer s/w-Realitätsebene siedelte er die verzerrte Wahrnehmung des krankhaft Eifersüchtigen farbig und vor allem farblich verfremdet an, unterstützt von allerlei avantgardistischen Trickeffekten. Entstanden in einer Zeit, in der Klassiker wie "Smultronstället" (1957), "L'année dernière à Marienbad" (1961), "8½" (1963), "Repulsion" (1965), "Persona" (1966), "Trans-Europ-Express" (1966), "L'homme qui ment" (1968) der subjektiven Wahrnehmung, den Imaginationen und trügerischen Erinnerungsbildern eine erstaunliche Autonomie innerhalb vermeintlich objektiver Filmbilder verliehen und die Weichen für David Lynch und spätere mindfuck movies bzw. mindgame movies stellten, da schien Clouzots Drama eines in seinen Wahn schlitternden Mannes auf der Höhe der Zeit zu sein. Sofern man es angesichts der veröffentlichten Materialien einschätzen kann, schien er allerdings Gefahr zu laufen, mit der Eingliederung avantgardistischer audiovisueller Effekte in die Dramaturgie etwas konstruiert zu geraten und teilweise einem Symbolismus zu huldigen, der schon in Hitchcocks einflussreichen Wahnbildern mitunter (etwa in "Spellbound" (1945)) simplifizierend auszufallen drohte. Clouzot schien angesichts der Nouvelle Vague ähnlich altbacken zu wirken wie der Avantgardist Jean Cocteau.
Nouvelle-Vague-Größe Claude Chabrol griff dann 30 Jahre später auf Clouzots Stoff zurück und reduzierte in seiner Inszenierung avantgardistische Anteile ganz gehörig, derweil er die zentrale Perspektive des Mannes bewahrte. Bloß gelegentlich sorgen z. B. eine grelle Beleuchtung und sonderbar anmutende Übersteigerungen von Nebengeräuschen für Eindrücke einer wahnhaften Subjektive. Bereits das wirkte, als "L'enfer" am 16. Februar 1994 seine Uraufführung feierte, in der Verbindung mit eher konventionellen dramaturgischen Zuspitzungen (die auch durch die "Sans fin"-Einblendung am Schluss nicht getilgt werden) auf einige Kritiker etwas überzogen. Doch das Spiel von François Cluzet und Emmanuelle Béart konnte mit Chabrols ambitionierten Bemühungen, ein präzises Porträt zu erschaffen, etwaige Mängel weitestgehend auffangen. Mit dem folgenden "La cérémonie" (1995) zählt "L'enfer" mittlerweile zu den gewichtigeren Klassikern in Chabrols Spätwerk, das günstig als Bestandteil von Concordes Claude Chabrol Collection 2 zu bekommen ist: Fassungseintrag von PatsyStone
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