Bleak Moments (1971) & Secrets & Lies (1996)
Preise hat der New British Cinema-Vertreter schon ab den frühen 70er Jahren eingeheimst: seit "Bleak Moments", seinem am 30. November 1971 uraufgeführten Regiedebüt. Oder vielmehr müsste man von einem Filmregiedebüt sprechen, denn Leigh war als Theaterregisseur bereits einigermaßen routiniert, ehe er sich 28jährig an seinen ersten Spielfilm wagte (beeinflusst unter anderem vom "Shadows" (1959) eines John Cassavetes, der noch heute spürbar durch Leighs Schaffen weht). Gänzlich befriedigend war diese erste Erfahrung nicht: "Citizen Kane"-Darsteller George Coulouris sprang als betagter, renommierter Profi schon zu Beginn der Proben ab, soll später sogar eine Kinoaufführung des Films verlassen haben. Gleichwohl der auch von Albert Finney produzierte Film durchaus wohlwollend aufgenommen worden ist, fragte sich Leigh auch später, ob "Bleak Moments" nicht eine Spur zu langatmig oder ereignisarm geraten sei. Doch scheinen diese Momente, die sich nicht ganz leugnen lassen, adäquat zur Geschichte von Einsamkeit, Isolation und unbefriedigender Kommunikation zu passen. Schon Roger Ebert, der 1972 Parallelen zur Filmkunst Eric Rohmers zog, war sich damals bewusst, dass "Bleak Moments" nicht unterhaltsam in einem konventionellen Sinne sei. Tatsächlich kommen die Momente im Leben der weiblichen Hauptfigur und ihrer oftmals ähnlich gehemmten Mitmenschen (darunter die beeinträchtigte Schwester) im südlichen London ohne eine traditionelle Spannung einher; der Look des Films ist zudem wenig glanzvoll, sondern trist, dunkel... ein wenig wie Jahre später Leighs Drama "Vera Drake" (2004). Und auch ansonsten reiht er sich rückblickend gut in Leighs Karriere ein, mit seinem verhaltenen, sehr britischen Humor, der kaum ohne unangenehme Beklemmung einhergeht und hier auch eher Nebenprodukt des eher deprimierenden, peinlich berühenden Dramas ist; mit seiner einfühlsamen Charakterisierung markanter, gleichwohl authentisch wirkender Figuren. Vielleicht zieht sich durch alle Filme Leighs bereits die Erfahrung seines Theaterschaffens, dessen Flüchtig- und Vergänglichkeit ihm stets ein Dorn im Auge war. Immerhin geht "Bleak Moments" bereits auf eine eigene Theaterproduktion zurück. In "Bleak Moments" findet man jedenfalls zuhauf trostlose Momente, wie sie einem auch in "Naked" (1993) begegnen sollten. Und doch ließ Leigh seinem Filmregiedebüt dann bloß erst einmal zahlreiche TV-Produktionen folgen: darunter "Meantime" (1984), der auch auf Festivals und in Kinos gezeigt wurde. Erst 1988 setzt dann mit "High Hopes" (1988) Leighs eigentliche Filmkarriere ein, in den 90er Jahren allmählich an Fahrt gewinnend: "Life Is Sweet", Tragikomödie und Familiendrama, übertrifft bereits frühere Erfolge Leighs deutlich, der Thatcher-Ära-geprägte "Naked" bringt ihm dann den Preis für die beste Regie in Cannes ein; dort läuft dann auch der am 10. Mai 1996 uraufgeführte "Secrets & Lies", der neben der Komödie "Happy-Go-Lucky" (2008) mit einer grandiosen Sally Hawkins noch heute Leighs populärster Film sein dürfte. Auch "Secrets & Lies" gewinnt: diesmal die Palme d'or für den besten Film. Fünf Oscar-Nominierungen kamen hinzu... Marianne Jean-Baptiste sucht in der Hauptrolle als Farbige aus der Mittelschicht nach der leiblichen Mutter – und findet sie in einer Weißen (Brenda Blethyn) inmitten ärmlicher Verhältnisse. Daraus resultiert eine Wahrheits- und Selbstfindung der gesamten Familie, die sich neu ordnen muss. Und nicht zuletzt Timothy Spall – schon zuvor bei Leigh und vor allem später in Leighs Biopic "Mr. Turner" (2014) in der Titelrolle eine Wucht – hinterlässt in seiner Rolle neben den Hauptdarstellerinnen großen Eindruck.
Kurz und knackig lässt sich Cel in seinem Review des Films über dessen Qualitäten aus, die im Grunde auch auf Leighs Gesamtwerk zutreffen...
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