The Blue Bird (1918)
Maurice Maeterlinck, der Literaturnobelpreisträger und große Vertreter des symbolistischen Dramas, Wegbegleiter von Villiers de l'Isle-Adam und Mallarmé, mitunter gar als Vorläufer des Surrealismus eingestuft, hatte relativ spät, gegen Ende seiner schriftstellerischen Karriere, einen seiner größten Erfolge mit einem Stück, das sich von seinen fatalistischeren, düstereren, melancholischeren Werken doch ein ganzes Stückchen abhebt: Die Rede ist von "L'Oiseau bleu" (1908), als Prosawerk zur Weihnachtszeit begonnen und dann zum Stück umgeschrieben. Es ist ein vordergründig naives Kunstmärchen, in dem sich die maeterlinckschen Elemente in einem optimistischeren Rahmen wiederfinden lassen.
Wie groß der Erfolg war, lässt sich schon daran sehen, dass die erste Verfilmung schon 1910 (als Kurzfilm) entstanden ist. Die erste Langfilm-Adaption folgte dann 1918: "The Blue Bird", trotz der Weihnachts-Motive am 31. März 1918 uraufgeführt, stammt vom versierten Maurice Tourneur, der nicht bloß bereits einige Klassiker des frühen US-Stummfilms abgeliefert hatte, sondern mit "Le système du docteur Goudron et du professeur Plume" (1913), "Figures de cire" (1914) und "Trilby" (1915) bereits einige Male ein gewisses Faible für phantastische Stoffe unter Beweis gestellt hatte. "The Blue Bird" ist vielleicht sein fantasyreichster Spielfilm geworden, der neben dem üblichen Gespür für effektive Bildkompositionen auch allerlei Trickeffekte, Stunts und kreative Kulissen und Kostüme aufweist. Unter Tourneurs gewiefter Inszenierung ist "The Blue Bird" nicht einfach einer jener frühen US-Fantasy-Klassiker geworden, die in den Jahren zuvor noch ein wenig an mangelndem Rhythmus gelitten hatten und in denen wunderbar ausstaffierte Figuren und Gebäude in allzu naturalistischen Landschaften einen nicht gerade rundum überzeugenden Eindruck hinterließen, sondern hier ergeben Dekor, matte paintings, Kostüme, Masken eine homogene, in sich stimmige Fantasy-Welt, hier sorgen Kameraführung, Montage und mise en image in Verbindung mit dem Verlauf der (zugegebenermaßen etwas episodenhaften) Handlung für einen lebendigen Rhythmus, der diesen 80minüter vor Leerlauf schützt und Turbulenzen und Ruhephasen in ein ausgewogenes Verhältnis bringt. Es ist sicherlich einer von Tourneurs bildgewaltigsten Filmen geworden: mit Schattenspielen beim Weihnachtsfest, malerischen Schneelandschaften, putzigen Tiermenschen, fliegenden Menschen, schimmernden Wasserfrauen und flammenden Feuerwesen, mit luftigen Tanzszenen, düsteren Schattenwesen und dunklen Wäldern. Ohne Zweifel darf man hierin einen wichtigen Schritt des US-Kinos in Richtung "Wizard of Oz" (1939) erblicken.
Es verwundert daher auch nicht, dass Hollywood nach dem Oz-Erfolg auch den Maetterlinck wieder für sich entdeckte: Aber das bunte Shirley Temple-/Technicolor-Spektakel "The Blue Bird" (1940) von Walter Lang kommt an Tourneurs Stummfilm-Version nicht heran. Interessant allerdings ist, dass der - neuerlich vor dem Hintergrund eines großen Krieges bewerkstelligte - Stoff das Glücksseligkeit-Thema nun nutzte, um den Krieg an sich explizit als vermeidenswertes Übel abzubilden. Der für pazifistische Botschaften geeignete Stoff ist später als "The Blue Bird" (1976) wohl auch nicht zufällig (unter George Cukors Regie) zur ersten us-amerikanisch-sowjetrussischen Koproduktion während des kalten Krieges geraten.
Von solch latenten Kommentaren zum aktuellen Zeitgeschehen war Tourneurs Version hingegen noch völlig frei. Unübersehbar war aber auch hier schon der große Kontrast zwischen einem noch immer wütenden Weltkrieg, in welchen die USA ein Jahr zuvor eingetreten waren, und dem Leinwand-Ideal harmonischer Glückseligkeit, auf deren Suche sich die Protagonisten in "The Blue Bird" auf Weisung einer guten Fee machen. Worum es in dem - von Kino Video einst auf DVD veröffentlichten - Film geht, verrät die Inhaltsangabe von PierrotLeFou...
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