La reine Margot (1994)
Seit dem 19. Jahrhundert übt die historische Figur der Prinzessin Marguerite de Valois, genannt Margot, eine starke Faszination auf das französische kulturelle Gedächtnis aus. Während der Hugenottenkriege zwischen Katholiken und Protestanten im 17. Jahrhundert war sie eine kluge und selbstbestimmte Frau, die sich nicht um Konventionen scherte und sich trotz ihrer herausgehobenen Position in zahlreiche Affären mit Männern aller Stände einließ. Die berühmteste Fiktionalisierung ihres Lebens ist wohl der 1845 erschienene Roman „La reine Margot“ von Alexandre Dumas, der 1910 und 1954 verfilmt wurde. 40 Jahre später, am 13. Mai 1994, brachte Patrice Chéreau eine Neuverfilmung von Dumas‘ Roman in die Kinos, die sich außerordentlich zeitgenössisch gab und besonders rückblickend eine unheimliche Wirkung entfaltet.
Daß Chéreau sich mit seiner „La reine Margot“ insbesondere gegen die Verfilmung von 1954 stemmt – die man getrost dem cinéma de qualité zurechnen kann, gegen das die nouvelle vague so heftig aufbegehrt hatte – wird ab der ersten Filmminute deutlich: der französische Hof wird als ein moralisch verkommener, von Genußsucht und Intrigen gezeichneter Sündenpfuhl dargestellt, in dem die (katholische) Religion ein reines Lippenbekenntnis ist und als bloßes Machtinstrument fungiert. Die Königsfamilie pflegt inzestuöse Beziehungen untereinander, die Leinwand dampft förmlich vor Schweiß, Lüsternheit und Mordlust, so daß die aufwendigen, César-prämierten Kostüme in keiner Sekunde ein staubiges Kostümfilm-Gefühl aufkommen lassen. Dabei interessiert sich der Regisseur nicht in erster Linie für das beispiellose Massaker unter den Protestanten, das als „Bartholomäusnacht“ bekanntgeworden ist und auch als deutscher Verleihtitel des Films firmiert. Für Chéreau liegt das Hauptinteresse vor allem auf Margot, mitreißend verkörpert von Isabelle Adjani, die eine Entwicklung durchmacht und im Lauf des Films ein Gewissen, ja sogar politische und persönliche Verantwortung entwickelt. Und doch hinterlassen die Bilder des nächtlichen Paris, dessen Straßen von den nackten Leichen ermordeter Protestanten übersät sind, die später in Massengräbern verscharrt werden, einen starken Eindruck: erinnerten sie die zeitgenössische Kritik noch an Bilder aus deutschen Konzentrationslagern, so wurden bald die Greuel der seinerzeit andauernden Jugoslawienkriege bekannt, zu denen auch die Massenermordung von Zivilisten unter religiösen Vorwänden gehörten. Diese wurden wenige Jahre nach dem Erscheinen von „La reine Margot“ bekannt und lassen den Film dadurch auf schreckliche Weise prophetisch wirken.
Für den unvorbereiteten Zuschauer mögen die Machtverhältnisse am französischen Hofe, die „La reine Margot“ als bekannt voraussetzt, zunächst undurchsichtig erscheinen. Hat man diese jedoch präsent, wird man Zeuge eines gnadenlosen Kampfes zwischen zwei starken Frauen in einer frauenfeindlichen Welt, zwischen Margot und ihrer Mutter Catherine de‘ Medici, von denen keine als Siegerin hervorgeht. Chéreau läßt seinen blutigen Bilderbogen mit hoher Geschwindigkeit abrollen und unterhält dabei mit atemlosen und zugleich pointierten Dialogen, die die zweieinhalb Stunden Laufzeit des Films im Nu vorbeiziehen lassen. Am besten geeignet für diese historische und doch zeitgenössisch wirkende tour de force ist die bei Capelight auf Blu-ray (Fassungseintrag) und DVD (Fassungseintrag) erschienene, vorbildlich mit Bonusmaterial ausgestattete Collector's Edition.
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