Listen to Britain (1942)
Das Ministry of Information spukt heutzutage nicht zuletzt als Vorlage für die Ministerien in Orwells "1984" (1949) im kollektiven Gedächtnis umher. Im Zweiten Weltkrieg hatte das MoI zahlreiche dokumentarische, propagandistische Kurzfilme in Auftrag gegeben, welche zum Kriegsgeschehen Stellung nahmen und - teils manipulativ - zu Meinungsbildung & Positionierung des Publikums beitragen sollten. Die meisten dieser Produktionen untermauern lediglich den fragwürdigen Ruf, den das MoI später - und nicht zuletzt dank Orwells Roman - genießen sollte; aber zwei Produktionen ragen hoch empor im Rahmen des Dokumentarfilms: Humphrey Jennings' & Stewart McAllisters "Listen to Britain" und Roy Boultings & David MacDonalds "Desert Victory" (1943), die längst als große Klassiker ihrer Gattung gelten.
Jennings, der einer Künstlerfamilie entstammte, kam 1934 - 27jährig - zum Film, als er zur General Post Office Film Unit gelangte, welche zu Beginn des Zweiten Weltkriegs als Crown Film Unit dem MoI unterstellt war. Für etwa 1½ Jahrzehnte drehte er zahlreiche dokumentarische Kurzfilme, von denen "The Heart of Britain" (1941), "Words for Battle" (1941), "Listen to Britain", "Fires Were Started" (1943) und "A Diary for Timothy" (1945) zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen.
Bei "Listen to Britain", der im April 1942 anlief, wurde Jennings vom Cutter Stewart McAllister unterstützt. Der jüngere, von John Grierson entdeckte McAllister, zählt heute zu den produktivsten & kreativeren Köpfen der GPO Film Unit; für Jennings hatte er mehrfach den Cutter gegeben - und trat bisweilen als eine Art Koregisseur Jennings' in Erscheinung. Inwieweit "Listen to Britain" als Leistung Jennings' oder McAllisters zu gelten hat, ist umstritten: Die komplexe Bild-/Ton-Collage aus inszenierten und vorgefundenen Bildern präsentiert sich im Vorspann zumindest als "directed & edited by Humphrey Jennings & Stewart McAllister" - eine nicht völlig eindeutige Formulierung, die meist derartig ausgelegt wird, dass sich Jennings und McAllister sowohl die Montage, als auch Regie-Leistungen geteilt hatten.
Der Film beginnt mit einem langen Prolog, der das kommende Programm vorgibt: "I am a Canadian. I have been listening to Britain. I have heard the sound of her life by day and by night. Many years ago, a great American, speaking of Britain, said that in the storm of battle and conflict, she had a secret rigour and a pulse like a cannon. In the great sound picture that is here presented, you too will hear that heart beating. For blended together in one great symphony is the music of Britain at war. The evening hymn of the lark, the roar of the Spitfires, the dancers in the great ballroom at Blackpool, the clank of machinery and shunting trains. Soldiers of Canada holding in memory, in proud memory, their home on the range. The BBC sending truth on its journey around the world. The trumpet call of freedom, the war song of a great people. The first sure notes of the march of victory, as you, and I, listen to Britain." Es folgen - in einer ziemlich beschönigenden Auswahl - alltägliche Eindrücke aus England, vereinigt zu einer harmonischen Symphonie: nicht zuletzt dank des brillanten Einsatzes der Tonspur, die am Schluss mit den Klängen von "Rule, Britannia!" endet... Es ist ein durchweg patriotischer und auch ein optimistisch-beschönigender Film über die Kriegssituation, welcher zum Zusammenhalten der Allierten aufruft und Einigkeit feiert - ohne Argumente zu verwenden: der Film wirkt lediglich über eine vereinnahmende Zusammenstellung alltäglicher, wenngleich faszinierender Eindrücke. Dafür gab es 1943 eine Oscar-Nominierung: es setzten sich allerdings vier andere von 20 konkurrierenden - und teils ziemlich schwachen - Titeln durch; eine ungewöhnliche Fülle, die sicherlich dem Kriegsgeschehen geschuldet ist.
Bei Film First liegt das Werk in der schmalen Humphrey Jennings Collection seit 12 Jahren auf DVD vor (Fassungseintrag von dvdeus). Löblicherweise hat das BFI mit der dreiteiligen Dual Format Edition The Complete Humphrey Jennings alle Jennings-Werke zugänglich gemacht, wobei "Listen to Britain" in Volume Two: Fires Were Started vorliegt. Dokumentarfilm-Interessierten sei diese ein wenig kostenspieligere Gesamtausgabe nahegelegt.
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