Jag är nyfiken - en film i gult (1967)
Der Schwedenfilm war ein Label, das schon seit den 20er Jahren im deutschsprachigen Raum anzutreffen war. Aber ab Arne Mattsons "Hon dansade en sommar" (1951) wurde dieses Label allmählich zum Synonym für vergleichsweise freizügige Filme: für teils beschimpfte "Saufilme", welche aber meist als Publikumsmagnet funktionierten, allerdings ganz und gar nichts für die Raincoat Crowds waren. Ingmar Bergmans "Tystnaden" (1963) und Vilgot Sjömans "491" (1964) gelten als markante Beiträge dieses neuen, schwedischen Skandalfilms, der direkt in die Sexfilme eines Mac Ahlberg oder Joseph W. Sarno münden sollte. In Schweden selbst bewirkte "Tystnaden" einen Skandal und eine Debatte, aus welcher im April 1964 die Kristen Demokratisk Samling hervorging (die heutigen Kristdemokraterna), derweil Bergman als Regisseur des Films Morddrohungen und vollgeschissenes Klopapier per Post erhielt. Weniger gravierend war die direkte Auswirkung von "Tystnaden" hierzulande, allerdings schlugen die Wellen der Empörung noch weit höher und hielten wesentlich länger an. Zwar verzichtete man bei der FSK auf Schnittauflagen jeglicher Art und würdigte die künstlerische Qualität des anstößigen Filmkunstwerks und selbst der evangelische Filmbeauftragte war voll des Lobes, aber es gingen seit Kinostart über 100 Strafanzeigen in kürzester Zeit bei der Staatsanwaltschaft ein und Hermann Kraemer von der CDU sah in "Tystnaden" gar eine Verletzung der Menschenwürde à la Auschwitz... Nur wenig später schockierte dann Sjömanns berüchtigte Schäferhundszene in "491" (die weit weniger drastisch ist, als manch einer vielleicht vermutet) das Publikum und neben vielen weiteren Beschwerde- und/oder Drohbriefen gegen Kinobetreiber und Verleiher formierte sich dann im Herbst 1964 die Aktion Saubere Leinwand, mit welcher selbsternannte Saubermänner gegen den Unflat in den Kinos zu protestieren gedachten. Heinrich Lübke begrüßte diese Aktion sogar ausdrücklich. Es dauerte nicht allzu lange, bis Gegner einer solchen Bewegung in ebendieser einen Fortbestand faschistoider Gesinnung in der Bundesrepublik sahen - zumal etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Adolf Süsterhenn eine Einschränkung der Kunstfreiheit zugunsten des gesunden Volksempfindens im Grundgesetz verankert sehen wollte, was aber selbst in der CDU und erst recht bei SDP und FDB weitgehend auf Widerstand stieß. Schließlich begannen sich die ersten Kirchenvertreter angesichts solch einer unerquicklichen Entwicklung der Debatte von der Aktion Saubere Leinwand zu distanzieren. Weit über eine Millionen Unterschriften konnten gesammelt werden, ehe die Aktion Anfang 1966 schließlich beendet wurde. Erfolg hatte sie kaum gehabt - bzw. hat sie vermutlich bloß noch zusätzlich die Besucherzahlen der umstrittenen Schwedenfilme in die Höhe getrieben.
Als "Jag är nyfiken - en film i gult" am 9. Oktober 1967 in Schweden anlief – und besonders als er am 1. März 1968 in Deutschland anlief –, da hatte sich die große Welle des Skandalisierens und Bekämpfens vermeintlicher Saufilme in Deutschland bereits wieder gelegt, der Schwedenfilm erfreute sich jedoch als aufgeschlossene bis freizügige Marke großer Beliebtheit. Nachdem Sjöman mit seiner Schäferhundszene in "491" und mit der titelgebenden Geschwisterliebe in "Syskonbädd 1782" (1966) für Furore gesorgt hatte (und schon in "Älskarinnan" vergleichsweise weit gegangen war), gab er sich nun ganz besonders frivol: Freie Liebe gibt es zu bewundern in "Jag är nyfiken - en film i gult". Freie Liebe z.B. zwischen Sjöman selbst und der jüngeren weiblichen Hauptfigur des Films; oder auch freie Liebe an öffentlichen Plätzen. Zugleich reagierte Sjöström mit "Jag är nyfiken - en film i gult" und seiner Ergänzung "Jag är nyfiken - en film i blått" (1968) recht reflektiert und ironisch auf den Ruf des schwedischen Films im Ausland - das ist schon an den ersten Zeilen im Film zu bemerken. Entscheidend ist aber etwas ganz anderes an diesem schwedischen Skandalfilm: Hier findet eine Gleichsetzung von sexueller und politischer Revolte statt, die sich noch bis Mitte der 70er Jahre durch das Weltkino, insbesondere durch das europäische Kino ziehen sollte. Der Geist von 1968 weht bereits durch diesen Film, der eine frühere Äußerung in dem Diskurs über Sexualität und Politik darstellt, zu welchem auch so unterschiedliche Werke wie "Besonders wertvoll" (1968), "Vtackovia, siroty a blazni" (1969), "Il Decameron" (1970), "Sodoma" (1970), "Pink Flamingos" (1971), "I Racconti di Canterbury" (1972), "Sweet Movie" (1974) oder "Flavia, la monaca musulmana" (1974) zählen können. Und noch etwas ist entscheidend an Sjömans kleinem Meisterwerk: Die irrwitzige Form, die semidokumentarisch und essyistisch den Spielfilm umkrempelt, um Aussagen über die schwedische Gesellschaft jener Jahre zu treffen, über die Zukunft zu spekulieren und einen unverstellten Blick auf die menschliche Sexualität zu werfen.
Die 2011 nochmals neu aufgelegte DVD aus der Reihe Kino Kontrovers bietet Sjömans gelb-blaues Doppelpack mit einem reichhaltigen, erhellenden Booklet und vielen spannenden Extras an: Fassungseintrag von Amy_Rose. Mehr? Review von HappyHarry mit dem Harten
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