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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Kinderlähmung auf großer Leinwand

Stichwörter: 1970er Drama Jubiläum Kachyna Kinder-/Familienfilm Klassiker Smeral Spielfilm Tragikomödie Tschechoslowakei

Uz zase skácu pres kaluze (1971)

Karel Kachyna gehört zu den wandlungsfähigeren Regisseuren der Tschechoslowakei, dessen Hochphase genau in die nová vlna fällt, der er mit "Ucho" (1970/1990, Anniversary-Text) auch ein lange verbotenes Schlüsselwerk beigesteuert hatte, blieb jedoch nicht auf diese beschränkt: Mit charmanten Kriminal-/Abenteuerfilmen wie "Král Sumavy" (1959) war er schon in den 50er Jahren ein populärer Filmemacher, zwischen der zaghaften beinahe-Romanze "Vysoká zed" (1964) und "Ucho" avancierte er unter anderem noch mit den Kriegsdramen "At' zije Republika" (1965) und "Kocár do Vídne" (1966) zu einer der wichtigen Figuren der nová vlna, mit "Malá morská víla" (1976) schuf er aber auch einen der schönsten tschechoslowakischen Märchenfilme, wobei ihn der Kinder-/Familienfilm generell – neben Komödien, Drama, Kriegsdramen – über eine große Zeitspanne hinweg begleitete: "Trápení" (1962), "Robinsonka" (1975), "Cekání na dést" (1977), "Pocítání ovecek" (1982), "Blázni a devcátka" (1988) oder auch der im Mai 1971 uraufgeführte und ab Dezember 1971 in Deutschland aufgeführte "Uz zase skácu pres kaluze" ließen sich hier nennen.
Kachyna, der Kinderfilme, Märchenfilme, Kriegsdramen, Biopics, Romanzen, Komödien und Kriminalfilme drehte, konzentrierte sich in seinem Spätwerk zunehmend auf zaghaftere Komödien und Dramen, in denen die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs noch nachhallt, und immer mehr auch auf Kinderfilme; er legte (auch zensurbedingt) auch die Schärfe ab, die sich durch einen "Ucho" noch zog, und knüpfte eher wieder an die Stimmung des Frühwerks an. Aufällig an Kachynas Kinder- und Jugendfilmen ist die Nähe zum Erwachsenenfilm, zu düsteren Themen: wie schon "At' zije Republika" mit seinem kindlichen Protagonisten sind auch "Vlak do stanice Nebe" (1972) oder "Cukrová bouda" (1981) als Kriegs- und Kinderfilme zugleich zu sehen: eine Richtung, die später zum (qualitativ eher enttäuschenden) "Poslední motýl" (1990) führen sollte, in dem ein Schauspieler zu Propagandazwecken von den Nationalsozialisten gedrängt wird, vor Kindern in Terezin aufzutreten – hier vermengen sich Korczak- und Marceau-Momente mit den Tragikomödien um getäuschte Kinder inmitten des Holocausts, wie sie von Jerry Lewis' unaufgeführten "The Day the Clown Cried" (1972) nicht bloß bis Benignis "La vita è bella" (1997) ziehen. Gerade die für die ganze Jungen nicht unbedingt tauglichen Jugendfilme Kachynas sind von einer ernsten Tragik durchzogen: etwa "Pavlinka" (1974) über das Schicksal einer 16-Jährigen während eines Arbeiterstreiks in den 1870er Jahren. Und der preisgekrönte "Vysoká zed" enthält zwar keine harten Themen, stellt aber doch der Perspektive eines erwachsenen Mannes Anfang die Perspektive einer 13-Jährigen gegenüber: In dem Film ist vielleicht der Schlüssel von Kachynas Kinderfilmen zu sehen, die die Perspektive der Kinder wie der Erwachsenen auf Augenhöhe miteinander sehen und dementsprechend beiden Zielgruppen etwas bieten, aber auch etwas zumuten...
"Uz zase skácu pres kaluze" enthält ebenfalls – für einen Kinderfilm – harten Tobak, wobei diesmal körperliches Leiden und der Abschied von den Lebensträumen im Mittelpunkt stehen: Der zwölfjährige Adam wächst zwischen einem teils schon etwas fahrlässigen Vater, der gerne einmal einen über den Durst trinkt, und einer besorgteren, auch strengeren Mutter auf dem heimischen Gestüt auf, wo zu Anfang des 20. jahrhunderts Reitpferde eingeritten werden. Eine Mutprobe und indirekt auch – ganz ideologiegerecht – die Verantwortungslosigkeit des Vaters führen bald dazu, dass Adam, der selbst gerne eine großer Reiter werden möchte, an der Kinderlähmung erkrankt. Gehunfähig gerät der Junge ins Spital, die Träume scheinen dahin zu sein, die Beine haben ihren Dienst aufgegeben. Die anderen, betagteren Patienten – darunter Vladimír Smeral als höchst liebenswerter Kauz – sprechen dem Jungen indes Mut zu; und mit Hilfsmitteln und Training wird sich der Junge bald mit seinem Schicksal arrangiert haben, um seine Träume doch noch irgendwie angehen zu können...
Die hierzulande ab den Polioimpfungen seit Langem ausgerottete Kinderlähmung ist (hierzulande) freilich längst kein Thema mehr, aber "Uz zase skácu pres kaluze" funktioniert auch bestens als pädagogisch wertvoller Film über Schicksalsschläge im Allgemeinen, der auch nur minimal moralisierend daherkommt. Dass Kachyna 1971 bereits auf ein Jahrzehnte zurückliegendes Setting zurückgegriffen hat, hat dem Film noch zudem ein gewisses Maß an Zeitlosigkeit eingebracht. Eine wie so oft arg spärlich ausgestattete Icestorm-DVD des Films wurde vor rund vier Jahren herausgebracht und ist – obgleich inzwischen vergriffen – gelegentlich noch für kleines Geld zu bekommen: Fassungseintrag von lwh512


Kommentare und Diskussionen

  1. PierrotLeFou sagt:

    Passend zum heutigen Weltkindertag 2021… 😉

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