Benny's Video (1992)
Kindliche oder jugendliche Mörder sind ein heikles, kontroverses Thema: Roland Klick hatte das mit "Bübchen" (1968) erlebt, Haneke verstörte sein Publikum 24 Jahre später mit "Benny's Video". Der Titel weist bereits darauf hin, dass hier noch ein anderes Thema eine zentrale Rolle spielt: Das Medium, das Video. Benny, die junge Hauptfigur, beschäftigt sich obsessiv mit diesem Medium, das ihm in Teilen sogar die Realität ersetzt. Und gerade die fremdartigen Eindrücke, die das alltäglich Bekannte überschreiten, haben es ihm angetan: etwa die Tötung eines Schweins vor laufender Kamera.
Und weil Haneke in mancher Hinsicht reichlich konservativ ist und gerade in "Funny Games" die Populärkultur und die Gewalt in den Medien in ein schlechtes Licht rückte, war "Benny's Video" nicht bloß wegen des jungen Täters, sondern auch wegen seiner Verhandlung von Film & Gewalt umstritten. Nahezu zeitgleich mit der Satire "C'est arrivé près de chez vous" (1992), die ebenfalls vom Filmen des Tötens handelt, am 13. Mai 1992 angelaufen, war "Benny's Video" seinerzeit ein kleiner Skandalfilm, dessen Thema etwas hanebüchen anmutete. Schaut man sich das offenbar vorhandene Bedürfnis nach Filmen wie "August Underground" (2001) an, denkt man an die mitgefilmten Morde der Dnepropetrovsk Maniacs - und daran, dass das Betrachten des im Netz kursierenden Videos zu einer Art Mut- oder Bewährungsprobe geworden ist -, so scheint Hanekes Film über die Faszination der Gewalt im Film so weltfremd keinesfalls zu sein. Und vor allem ist seine Thematisierung eines Kamerablicks, der den natürlichen Blick mehr und mehr ersetzt, im Rückblick als nahezu prophetisch zu bewerten: was bei Haneke an Paul Virilios "L'Inertie polaire" (1990) erinnert, hat heute in einer Dominanz des Smartphones längst seine Bestätigung gefunden. Haneke impliziert, was der als Metafilm zu lesende Fake Found Footage-Klassiker "Blair Witch Project" (1999) keine zehn Jahre darauf ausformulierte, wenn es dort über das Videobild heißt: "It's not quite reality. [...] It's totally like a filtered reality, man. It's like you can pretend everything's not quite the way it is."
Der noch heute kursierende Vorwurf, dass Haneke eine naive Nachahmungs-These vertreten würde, wenn er seinen Benny vor laufender Kamera Gewaltbilder reinszenieren lässt, welche er aus dem Splatterfilm kennt, greift aber schon deshalb zu kurz, weil es Haneke nicht bloß um das Zustandekommen der Untat geht, welche sich bereits im ersten Viertel ereignet, sondern um die Reaktion der Eltern auf das Verbrechen. Denn wie in "Der siebente Kontinent" (1989) und "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" (1994), den umgebenden Teilen seiner losen Trilogie, geht es Haneke vor allem auch um eine 'emotionale Vergletscherung', die er der Gesellschaft (auch in späteren Werken) diagnostiziert. Damit tritt er freilich als Provokateur auf, dessen (minimalistisch inszenierte) Polemik einen weiteren Stein des Anstoßes liefert. Wie auch immer man zu Haneke und seinen Werken stehen mag - zweifellos ist er einer der renommiertesten Skandalfilmer der Gegenwart.
Worum es geht, verraten die Besprechungen von Pyri (Review) und Arminowitsch (Review), die Ausdruck der krass auseinanderklaffenden Zu- und Abneigungen sind, welche Hanekes Schaffen stets entgegengebracht werden.
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