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von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: Ausgezeichnetes Spätwerk von Claude Sautet

Stichwörter: 1990er Auteuil Béart Drama Frankreich Jubiläum Klassiker Liebesfilm Sautet Spielfilm

Un coeur en hiver (1992)

Claude Sautet. Er beginnt seine Karriere als Regisseur während der nouvelle vague, zu der er allerdings nicht gehört. Als Regieassistent kam er schon 1950 zum Film, für Franjus "Les yeux sans visage" (1960) assistiert er zehn Jahre darauf ein letztes Mal. Er beginnt seine Regiekarriere mit reinen Genrefilmen: mit der Komödie "Bonjour sourire!" (1955) und dem von Jean-Pierre Melville wertgeschätzten Gangsterfilm "Classe tous risques" (1960). Sein Hauptwerk, für das er dann jedoch berühmt wurde, schlägt eine gänzlich eigene Richtung ein. Sautets Filme sind Männerfilme - allerdings keine solchen, die der Schablone des Actionfilms, des Kriminalfilms oder des Thrillers folgen würden. Es sind Männerfilme über Männer in der Midlife Crisis, über Männer, die ihren Selbstwert infrage stellen oder infrage gestellt sehen. Es sind leise Dramen über Männer, die nicht so sein können, wie sie es gerne wären... es sind bisweilen auch Filme über Machos, die aber keineswegs überzeichnet daherkommen und die Probleme ihrer Figuren durchaus ernst nehmen, anstatt sich darüber zu erheben. Die Dramaturgie ist gelegentlich - wie in "Les choses de la vie" (1970), dem ersten 'richtigen' Sautet-Film - eine sehr klar pointierte & strukturierte, folgt aber zumeist ohne dramaturgische Zuspitzungen des Melodrams dem Fluss des Lebens. Sautet steht daher oftmals im Ruf, ein realistischer Filmemacher zu sein, zumal er auf auffällige Formspielereien zeitgenössischer französischer Kollegen verzichtet - dennoch setzt er keinesfalls auf einen spröde-naturalistischen Stil, sondern leistet sich durchaus ästhetisch spannende, inhaltlich keineswegs notwendige Highlights. Sautet, der einst Malerei und Bildhauerei studiert hatte, dreht alles in allem formal zunächst unscheinbare Filme, die ihre großen Qualitäten dadurch entfalten, dass sie hervorragende Porträtfilme ergeben, indem sie zielsicher ihr Sujet ordnen, ohne konstruiert zu wirken, indem sie vereinnahmend in Szene werden, ohne ihre inszenatorische Finesse in den Vordergrund zu rücken. Nicht zuletzt dank starker Darsteller(innen) gelangen Sautet auf diese Weise packende Filme: So lassen nicht zuletzt Michel Piccoli, Yves Montand, Serge Reggiani, Gérard Depardieu und Stéphane Audran z.B. Sautes "Vincent, François, Paul... et les autres" (1974) zu einem feinsinnigen, feinfühligen Drama der Spitzenklasse werden. In Frankreich etabliert er sich schnell als einer der ganz großen Regisseure der 70er Jahre, in Deutschland blieb er eher ein Geheimtipp, wobei er in den letzten Jahren verstärkt zugänglich gemacht und von Bettina Karrer mit ihrer fast 400seitigen Studie "Unstillbare Sehnsucht" (2012) analysiert und gewürdigt worden ist.

"Un coeur en hiver", Sautets vorletzte Regiearbeit, erlebte am 2. September 1992 seine Uraufführung. Wie der folgende "Nelly & Monsieur Arnaud" (1995) heimste sie ungemein viele Preise ein, wenngleich auch frühere Sautets vielfach ausgezeichnet worden waren. ("Une histoire simple" (1978) war einstmals gar für den Oscar für den besten fremdsprachigen Film nominiert, konnte sich aber nicht gegen "Die Blechtrommel" (1979) durchsetzen.) Die Geschichte eines Geigenbauers, der die Liebe des love interests seines langjährigen Partners gewinnen kann, nach diesem Erfolg jedoch einen Rückzieher macht, enthielt auf der Biennale den Silbernen Löwen für die beste Regie, den FIPRESCI-Preis, wurde für neun Césars nominiert, von welchen er zwei erhielt, wurde vom Syndicat Français de la Critique de Cinéma als bester Film des Jahres gewürdigt und verschaffte Hauptdarsteller Daniel Auteuil, der hier neben Emmanuelle Béart spielt, den Europäischen Filmpreis. Wie viele Sautets ist auch "Un coeur en hiver" ein melancholischer Film über den Umgang mit dem Scheitern, über (männliche) Eitelkeit, Existenzängste und die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Ein stiller, berührender Film, der seinem schönen Titel völlig gerecht wird...
Bei Universum Film ist der Film, der - obgleich ein Spätwerk - einen guten Einstieg in Sautets Schaffen bietet, seit zehn Jahren günstig auf DVD zu haben: Fassungseintrag von MrLovebucket


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