Le jour se lève (1939)
Gegen Mitte der 30er Jahre entwickelte sich in Frankreich eine Stilrichtung, die als Poetischer Realismus zu den großen Epochen der Filmgeschichte zählen sollte. Jean Renoir, Marcel Carné, Julien Duvivier, René Clair und der späte Jacques Feyder gelten als bedeutende Vertreter dieser Schule. Clair war jedoch vor allem an experimentellen Formspielen und humorvoll-satirisch überzeichneten Stoffen interessiert, Duvivier befriedigte regelmäßig auch den Geschmack eines Massenpublikums... Carné dagegen steht für den Poetischen Realismus, wie kaum ein anderer Filmemacher: war der Poetische Realismus schon immer zwar poetisch & romantisch, aber keineswegs realistisch, sondern eher pessimistisch, ja geradezu fatalistisch, so gilt das ganz besonders für Carné.
"Le jour se lève" ist ein pessimistischer & fatalistischer Film im höchsten Grade: die nicht zufällig in Rückblenden erzählte Geschichte eines begangenen Mordes (und bevorstehenden Selbstmordes) widmet sich aufmerksam dem Alltag des geschilderten Milieus und entwickelt die sich scheinbar zwangsläufig ereignende Katastrophe aus dessen Missverständnissen, Vorurteilen und Missständen, während Motive und Strukturen des Kriminalfilms eine allenfalls nebensächliche Rolle spielen. Als kaum ein Quartal später Frankreich Deutschland aufgrund des Polenfeldzugs den Krieg erklärte, wurde Carnés Film dann auch als demoralisierend empfunden und kurzerhand verboten. 1947 versuchte man bei RKO, den Film dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen, um das eigene Remake besser vermarkten zu können. Langfristig haben solche Zwischenfälle dem Ruf & Status des Films eher genutzt als geschadet; nun – 75 Jahre später – erlebte der längst zum großen Klassiker avancierte Film (nicht nur in Frankreich) seine Wiederaufführung und liegt in restaurierter Form auf BR vor.
('Kurz anreißendes') Review von Vince
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