La sirène du Mississippi (1969)
Wie Chabrol, Rohmer, Godard oder der etwas weniger zur Nouvelle Vague zählende Marker gehörte auch Truffaut zu denjenigen des neuen französischen Kinos, die Hitchcocks Talent bereits erkannt und ihn als auteur gewürdigt hatten, als er manchem Kritiker noch als (bestenfalls sorgfältiger) Genre-Routinier galt... Wie Rohmer und Chabrol schrieb auch Truffaut über Hitchcock ein ganzes Buch – oder vielmehr: mit Hitchcock. (Godard und Marker gingen später in ihren Essayfilmen auf Hitchcock ein.) Das umfangreiche Interview ist bis heute ein Evergreen der Filmliteratur und verrät mindestens soviel über Truffauts Vorlieben wie über Hitchcocks Vorgehen... "Le Cinéma selon Hitchcock" (1966) erschien eine gute Dekade nach Rohmers und Chabrols "Hitchcock" (1957); zwischenzeitlich hatte der Großmeister der suspense seine wichtigsten Meisterwerke gedreht und (wie sich im Rückblick zeigen sollte) seine besten Zeiten endgültig hinter sich gelassen. Wohl auch deshalb konnte sich Truffauts Band wesentlich besser halten als die Hitchcock-Werkschau seiner Kollegen Rohmer und Chabrol.
Drei Jahre nach dieser Buchveröffentlichung war auch Truffauts filmische Verbeugung vor Hitchcock abgedreht. Der am 18. Juni 1969 uraufgeführte "La sirène du Mississippi" – gedreht nach einem Roman von Cornell Woolrich – strotzt nur so vor Hitchcock-Einflüssen, die dank des Stoffes einer sehr obsessiven Beziehung prächtig gedeihen. (Beide, Hitchcock wie Truffaut, hatten zuvor schon Woolrich-Verfilmungen abgeliefert. "La sirène du Mississippi" konnte der 1968 verstorbene Schriftsteller nicht mehr sehen – aber er hatte sich bereits nach einer Amputation weitgehend zurückgezogen und schon der Premiere der früheren Woolrich-Verfilmung Truffauts nicht mehr beigewohnt.)
Jean-Paul Belmondo ist der vermögende Protagonist, Catherine Deneuve seine durchtriebene Partnerin – die ihn alsbald hintergehen und sich mit einem Großteil seines Vermögens absetzen wird. Es beginnt eine Flucht, eine Jagd, ein Versteckspiel; und beide Figuren wollen einander nichts Gutes, obgleich oder weil sie einander insgeheim bereits unweigerlich verfallen sind. Keine weitere Partei macht einem Paar zu schaffen (wie man es bei Truffaut gewohnt ist), sondern in einer hitchcockschen amour fou à la "Suspicion" (1941), "Vertigo" (1958), "Marnie" (1964) plagt und erfüllt man sich hier als Paar gegenseitig. Und wie in "North by Northwest" (1959) bekommt man hier eine episodenhafte Reise geboten, die allerlei Schauwerte von Réunion über Nizza bis in die verschneiten Alpen liefert. Und Antoine Duhamel, Truffauts Stamm-Komponist, liefert hier einen astreinen Bernard-Herrmann-Score ab, nachdem Herrmann selbst bereits zweimal Truffaut-Soundtracks komponiert hatte. (Derweil zaubert die Montage Alptraumsequenzen wie bei Hitchcock). Hier hat Truffaut (wie kurz darauf de Palma) als Hitchcock-Schüler ein Niveau erreicht, dass der Lehrmeister selbst bereits nicht mehr zu halten vermochte. Und dennoch hat der Film einen starken Truffaut-Touch; das Spiel der Akteure, die Führung der Figuren scheint daran nicht ganz unschuldig zu sein...
In der Reihe Celebrating 90 Years Of Film wurde der Film bei MGM herausgebracht; die (spärlichst ausgestattete) DVD ist mittlerweile zwar vergriffen, aber noch vergleichsweise billig zu haben: Fassungseintrag von dirkvader
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